Nebenweit (German Edition)
von den Kindern, die ja schließlich bereits angefangen hatten, ihr eigenes Leben zu leben.
Am Abend meiner Rückkehr hatten wir zuerst stundenlang vor dem Fernseher gesessen und uns eine politische Diskussion angehört und dann noch bis in die Nacht hinein diskutiert. Am liebsten hätte ich Bernd schon an jenem Abend in die Arme genommen, aber das wäre vielleicht für uns beide zu früh gewesen. Seine Reise nach Japan und die Erkenntnis, dass auch dort keine Lösung unseres Dilemmas zu finden war, hatten dann im Verbund mit dem überfallartigen Besuch Dr. Duponts den Ausschlag gegeben.
Ich hatte dann noch einen ganzen Tag Zeit gehabt, mir über meine Gefühle klar zu werden, und dabei war mir bewusst geworden, dass ich Dupont gegenüber nicht etwa deswegen so abweisend gewesen war – so abweisend, dass es trotz allem an Unhöflichkeit grenzte –, weil ich mich vor ihm fürchtete, sondern weil ich Angst hatte, er könnte mir Bernd wegnehmen und ich würde dann ganz allein sein. Angst, zum zweiten Mal den Mann in meinem Leben zu verlieren. So gesehen hatte Bernd gestern Abend nicht unrecht gehabt, als er gemeint hatte, ich wolle ihn verführen. Großen Widerstand hatte er allerdings nicht geleistet.
Jetzt lag er da und schlief friedlich wie ein kleines Kind. Ob ihm ähnlich wie mir zumute war? Männer waren ja in diesen Dingen immer etwas vordergründiger, dachte ich. Bernhard war früher durchaus fähig gewesen, mit mir zu schlafen, wenn ich ihn wegen irgendeiner Missstimmung am liebsten zum Teufel gewünscht hätte, ihm aber um des lieben Friedens willen etwas vorgespielt hatte. Ob er mich verstehen und mir verzeihen würde, sollte es je doch zu einem Wiedersehen kommen? Musste ich mich schämen, dass ich meinen Gefühlen freien Lauf gelassen hatte? Ich wusste, dass mich solche Überlegungen immer wieder plagen würden, war aber fest entschlossen, von jetzt an ein normales Alltagsleben mit Bernd zu führen, so wie Mann und Frau nach einem Vierteljahrhundert Ehe eben zusammen lebten.
Das Problem unserer – meiner – Kinder galt es noch zu lösen, die Bernds waren ja genauso weit entfernt, wie Bernhard das war. Ich hatte sie schon beinahe drei Wochen nicht mehr gesehen, was nicht ungewöhnlich war, schließlich lebten sie beide ihr eigenes Leben, aber allmählich wurde es Zeit für ein gemeinsames Familienessen, zumal Jessie in drei Wochen ihren 22. Geburtstag feiern würde. Und Geburtstage waren immer Anlass für Familienfeiern gewesen. Ich würde bald mit Bernd besprechen müssen, wie wir uns den Kindern gegenüber verhalten sollten. Bis jetzt hatten wir die ganze Geschichte mit den Parallelwelten für uns behalten, und wenn es nach mir ging, würden wir das weiterhin tun. Bernd hatte sich inzwischen hier eingelebt, und so etwas wie die Sache mit dem Mobi würde ihm sicherlich nicht noch einmal passieren.
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es neun Uhr geworden war, und ich beschloss aufzustehen. Sollte Bernd doch ruhig weiterschlafen. Wenn es dann im Haus nach Kaffee roch, würde er schon aufwachen, so war das früher bei Bernhard auch immer gewesen. Ich hatte zwischen den beiden bisher nicht den geringsten Unterschied feststellen können. Auch in der letzten Nacht nicht.
Bernd Lukas
28
Um sieben war ich einmal kurz aufgewacht, hatte mich aber nach einem Blick auf die Nachttischuhr gleich wieder zur Seite gedreht und weitergeschlafen. Aber jetzt kitzelte der Duft von gebratenem Speck meine Nase, und ich sah erneut auf die Uhr. Halb zehn, da hieß es Aufstehen. Unter der Dusche dachte ich über die vergangene Nacht nach. Ich musste lächeln. Ich hatte schon am Flughafen gespürt, dass sich in Carol etwas verändert hatte. Des romantischen Candle-Light-Dinners, das sie mir zubereitet hatte, hätte es eigentlich gar nicht mehr bedurft, um mir klarzumachen, dass sie unsere Ehe wieder neu beginnen wollte – falls das der richtige Ausdruck war. Dämliche Formulierung, dachte ich mir, aber die deutsche Sprache hatte für die Lebensumstände für Menschen aus Parallelwelten eben keine sprachlichen Brücken entwickelt. Ich wollte mir darüber auch nicht der Kopf zerbrechen. Dazu war die letzte Nacht viel zu schön gewesen, hatte sie doch neue Lebensgeister in mir erweckt.
In den letzten Wochen hatte ich mich viel mit den Meinen in der anderen Welt beschäftigt, darüber nachgedacht, wie Carol wohl damit zurechtkam, dass sie wahrscheinlich mit der gleichen Situation wie die Carol
Weitere Kostenlose Bücher