Nebenweit (German Edition)
auch in die Tat um, obwohl Gartenarbeit nicht gerade zu meinen Lieblingsbeschäftigungen zählt. Doch es war ein herrlicher Herbsttag, vermutlich hatten wir Föhn, denn der Himmel war strahlend blau, und vor dem Hochgern hingen dunstige Föhnwolken. Es war angenehm warm, sodass ich bald den Pullover auszog. Als wir das Haus gemietet hatten, hatten wir befriedigt zur Kenntnis genommen, dass der Garten recht pflegeleicht war, ich konnte mich also darauf beschränkten, den Rasen noch einmal zu schneiden und ein paar Sträucher zu stutzen. Bis das Laub fiel, würden noch ein paar Wochen vergehen, damit würde ich dann noch einmal ein paar Stunden beschäftigt sein.
Charlie freute sich sichtlich darüber, dass ich wieder im Lande weilte, denn er tobte ständig vor dem Rasenmäher umher, sodass ich alle Mühe hatte, nicht mit ihm zu kollidieren. Die frische Luft tat mir gut. Seit ich mit Tanabe durch den Hakone-Park gewandert war, waren an die 48 Stunden vergangen, die ich fast ausschließlich in geschlossenen Räumen verbracht hatte. Ich war richtig in Fahrt und merkte erst, als mir das Knirschen der Reifen in der Einfahrt Carols Rückkehr von ihrer Einkaufsexepedition und ein Blick auf die Uhr verriet, dass ich fast vier Stunden gearbeitet hatte. Wenn das keinen Muskelkater gab!
Ich legte die Heckenschere weg und ging zum Auto, um Carol ihre Einkäufe abzunehmen, aber als sie ausstieg, eilte sie auf mich zu und drückte mich an sich. Es war gerade, als wären wir eine Ewigkeit getrennt gewesen – oder ganz frisch verliebt! Nach einer Weile lösten wir uns voneinander und gingen um den Wagen herum. Carol drückte den Knopf der Fernbedienung, und die Heckklappe öffnete sich. Sie reichte mir den Einkaufskorb und nahm selbst die beiden Tüten, die danebenstanden. Charlie schnupperte aufgeregt daran, und ich sah, dass eine Tüte den Aufdruck des örtlichen Fleischers trug.
»Lust auf eine deftige Brotzeit?«, wollte Carol wissen und zwinkerte mir zu. »Schließlich hast du ja anstrengende Stunden hinter dir. In deinem Alter!«
»Jetzt werd bloß nicht frech!«, drohte ich ihr und gab ihr einen Klaps auf den Po. »Fühlt sich ja noch ganz knackig an. Für dein Alter, meine ich«, revanchierte ich mich, und dann mussten wir beide lachen wie ein junges Liebespaar.
Wir beschlossen, den Imbiss auf der Terrasse einzunehmen, hatten uns aber kaum hingesetzt, als das Telefon sich meldete. Als ich auf dem Display die lange, mir unbekannte Nummer sah, die mit zwei Nullen begann, ging ich ins Haus, um das Gespräch dort anzunehmen. »Hallo Mister Lukas«, begrüßte mich eine körperlose Stimme. Die Projektion zeigte › KEIN BILD MÖGLICH ‹ an.
»Ja, der bin ich. Mit wem spreche ich?«
»Hier spricht Masao Tanabe. Ich hoffe, Sie hatten einen guten Flug. Bitte verzeihen Sie, wenn ich störe, aber hier hat sich etwas getan, was Sie sicherlich interessieren wird. Ich will auch gleich zur Sache kommen:
Im Gebiet von Kamakura, Sie wissen vermutlich, das ist keine fünfzig Kilometer von dem Ort entfernt, wo wir vorgestern waren, ist ein Mann aufgetaucht, der vermutlich aus der Welt kommt, die Sie die Gälerwelt genannt haben. Ich dachte, das sollten Sie erfahren, und deshalb habe ich den Artikel, den ich heute Morgen in der Asahi Shimbun gelesen habe, ins Englische übersetzt und werde ihn Ihnen gleich schicken. Die Polizei, die den Mann aufgegriffen hat, konnte sich kaum mit ihm verständigen, aber ein Sprachwissenschaftler der Universität Tokio, den man hinzugezogen hatte, hat erklärt, der Mann spreche eine Form des Japanischen, wie man es vor etwa tausend Jahren bei uns gesprochen hat. Er wirkte ziemlich verwildert, weil er sich tagelang in den Wäldern aufgehalten und sich nur von Beeren und Pilzen ernährt hat. Seine Kleidung war zerlumpt und bestand aus grob gewebtem Stoff, und es sieht wirklich so aus, als sei er ein Wilder, der plötzlich in unsere Welt versetzt wurde. Bitte lesen Sie den Artikel, ich schicke ihn jetzt gleich mit E-Post ab, und dann sollten wir uns vielleicht etwas ausführlicher darüber unterhalten.«
Ich hatte wortlos zugehört, ohne ihn zu unterbrechen, und merkte jetzt, dass Carol mit geweiteten Augen neben mir stand. Ich hatte auf Lautsprecher geschaltet, sodass sie Tanabes Worte hatte mithören können.
»Sie haben recht, das klingt nach dem, was Dupont mir erzählt hat«, bestätigte ich Tanabe. »Ich nehme an, Sie wissen im Augenblick nicht mehr als das, was in dem Artikel steht. Oder haben
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