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Nebenweit (German Edition)

Nebenweit (German Edition)

Titel: Nebenweit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Zwack
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freundlicher zurück und zeigte wortlos auf die Tür, aus der sie gerade gekommen war. Ich nickte, trat ein und sah Richard, der in keiner Weise der Klischeevorstellung eines Universitätsprofessors entsprach, hinter seinem Schreibtisch sitzen. Richard thronte wie in einer Kommandokanzel hinter dem geschwungenen Halbrund aus hellem Holz, den ein bestimmt achtzig Zentimeter breiter Flachbildschirm dominierte. Ich hatte Moriarty seit zehn Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen, hatte aber nicht den Eindruck, dass er sich in irgendeiner Weise verändert hatte. Da war noch das gleiche schmale, beinahe asketisch wirkende Gesicht mit dem vielleicht etwas mehr ergrauten Haarkranz, der eine wie auf Hochglanz polierte Glatze umgab, der sauber gestutzte, graue Schnurrbart mit der aristokratisch wirkenden, schmalen Nase und den munter blickenden, blauen Augen darüber, die mich jetzt über eine randlose Brille anlächelten.
    »Bernhard, old boy, how good to see you«, strahlte er. »Ist ja eine Ewigkeit her, dass wir uns zuletzt gesehen haben. Ich glaube, das war in Washington, du warst mit Carol zu Besuch. Warum hast du sie nicht mitgebracht? Ich hatte ihr doch versprochen, dass ich ihr unsere Pubs zeige.«
    »Sie besucht gerade ihre Familie«, erklärte ich und war schon darauf vorbereitet, ihren Entschluss zu verteidigen und Richard zu erklären, dass zwischen uns auch alles in bester Ordnung sei. Aber Richard ging mit dem typischen Taktgefühl, das seinesgleichen häufig auszeichnet, darauf nicht ein, sondern wollte wissen, was ich denn in den letzten Jahren gemacht habe.
    Dass er mich für Bernhard hielt und daran offenbar auch nicht den geringsten Zweifel hatte, wunderte mich inzwischen bereits nicht mehr. Selbst Carol hatte mich ja schließlich nicht infolge meines Aussehens, sondern wegen meines im Auto liegen gebliebenen Handys durchschaut.
    »Man liest ja gar nichts mehr von dir«, beklagte er sich, »scheinst faul geworden zu sein …« Er lächelte entwaffnend. »Darf ich dir einen Schluck anbieten? Bester Single Malt von einer kleinen Landdestille in den Highlands. Die habe ich bei meinem letzten Schottlandtrip entdeckt.«
    Ehe ich Einspruch einlegen konnte, war er aufgestanden und zu einem schmalen Tisch an der Wand gegangen, über dem ein Fenster mit in Blei gefassten Butzenscheiben den Blick auf die Universitätsgebäude erlaubte. Er füllte zwei Gläser je einen Finger breit, blickte auf und meinte: »Soweit ich mich erinnere, nimmst du ihn ohne Eis und Wasser.« Mit dieser Feststellung kehrte er hinter seinen Schreibtisch zurück und ließ sich auf seinen Vitrasessel nieder.
    Ich hatte inzwischen Platz genommen und nahm das Glas entgegen, das er mir hinhielt. »Auf alte Zeiten und unsere Freundschaft«, sagte ich und hob das Glas. Die dunkelbraune Flüssigkeit lief mir wie Öl über die Zunge und breitete sich wohlig warm in meiner Kehle aus. Nur gut, dass ich im ICE ordentlich gefrühstückt hatte, dachte ich.
    »Auf alte Freundschaft«, nickte Richard und musterte mich prüfend. »Wir könnten jetzt eine Stunde lang über die Vergangenheit plaudern und würden uns dabei sicherlich nicht langweilen, aber ich glaube nicht, dass du die lange Reise deswegen gemacht hast. Schließlich habe ich dich in den letzten zehn Jahren bestimmt ein halbes Dutzend mal eingeladen, und du hattest nie Zeit. Also, wo brennt’s und was kann ein verknöcherter Prof für dich tun?«
    Ich hatte mir lange überlegt, wie weit ich ihn in mein Dilemma einweihen sollte, und mir eine einigermaßen plausible Legende zurechtgelegt, mit der ich mich um die Wahrheit herumschwindeln wollte. »Du weißt ja, dass wir seit einer Weile auf dem Land wohnen, in einem Dorf, hundert Kilometer von München. Wir wohnen dort ziemlich abgeschieden, und da macht man sich natürlich etwas Gedanken um seine Sicherheit. Nun gibt es da zehn Minuten zu Fuß von uns entfernt eine Hütte, in der es angeblich spuken soll. Nicht dass ich solchen Quatsch glauben würde –«
    »Aber ein wenig doch«, fiel Richard mir lachend ins Wort. »Du weißt ja, für uns Engländer gehört zu alten Häusern immer ein wenig Spuk, das macht sie ja erst richtig interessant.«
    »Ja, ich weiß, aber in dem Fall ist es ein wenig anders. Zwei Wochen nachdem wir eingezogen waren, hat man uns erzählt, dass wir die dritten Mieter in zwei Jahren wären, und dann seien in der Gegend auch schon Leute verschwunden. Nicht dass Carol und ich Angst hätten, aber du weißt ja, wie es ist, man

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