Nebenweit (German Edition)
in aller Ruhe besprechen.« Dabei grübelte ich immer noch, wie ich ihm die Aufnahme erklären sollte. Die Wahrheit jedenfalls war zu riskant. Wir kannten uns recht gut, Richard war Gastprofessor in Georgetown gewesen, als ich dort das Büro der ›Süddeutschen Zeitung‹ geleitet hatte. Wir hatten uns im University Club kennengelernt und so manches Wochenende gemeinsam verbracht. Carol hatte den etwas kauzigen Schotten gemocht, und als ich ihr einmal scherzhaft gedroht hatte, dass ich einen Seitensprung mit ihm unter keinen Umständen dulden würde, hatte sie schallend gelacht. »Du willst wirklich behaupten, dass du nicht weißt, dass er schwul ist!«, hatte sie losgeprustet und sich dann darüber lustig gemacht, dass Männer für ›so etwas‹ einfach keine Antenne hätten. Ich hatte wirklich keine Ahnung gehabt!
Die Passkontrolle im Zug bei der Einreise nach Britannia war kurz und unbürokratisch gewesen. Dass der Beamte mit jedem Passagier ein paar Sätze wechselte und dabei auch deutsche und französische Sprachkenntnisse erkennen ließ, war echte britische Tradition, an die ich mich aus früheren Jahren gern erinnerte. In meiner Welt war die Kontrolle eher gründlicher gewesen, obwohl das Vereinigte Königreich in meiner Zeitlinie Teil der Europäischen Union war, sich aber nicht wie die kontinentalen Unionsmitglieder zur Öffnung seiner Grenzen hatte entschließen können.
In dieser Welt hatte sich das Vereinigte Königreich im Zuge der Auflösung seines Kolonialreiches in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ganz neu formiert. Seine formelle Bezeichnung lautete jetzt United Kingdom of British Nations. Die etwas sperrige Abkürzung UKBN hatte sich nicht durchsetzen können. Vielmehr wurde die Vereinigung der anglofonen Staaten England, Schottland, Wales, Kanada, Australien und Neuseeland unter einer einheitlichen, im Zweijahreswechsel in den Hauptstädten der jeweiligen Staaten tagenden Regierung unter dem derzeitigen Staatsoberhaupt König Charles III. gemeinhin als ›Britannia‹ bezeichnet, eine Sprachregelung, der sich inzwischen immer mehr offizielle Stellen dieses mächtigen Staatengebildes angeschlossen hatten.
Der Zug nach Oxford war eine Überraschung. Ich hatte England immer mit ziemlich heruntergekommenen Eisenbahnzügen in Verbindung gebracht und war von dem eleganten Stromlinienzug überrascht, der mich in zwanzig Minuten an mein Ziel trug. Richard hatte sich erboten, mich am Bahnhof abzuholen, aber ich hatte darauf verzichtet. Schließlich stand er im Gegensatz zu mir noch voll im Beruf, und ich wollte seine Zeit nicht über Gebühr in Anspruch nehmen. Außerdem wollte ich die alte Universitätsstadt vom Taxi aus auf mich einwirken lassen und mich noch ein wenig auf unser Gespräch einstellen.
Wenigstens vom Taxi sollte ich nicht enttäuscht werden. Es sah genauso aus, wie ich englische Taxis in Erinnerung hatte: schwarz, kastenförmig mit einem separaten Abteil für den Fahrer, der mich unter einer speckigen Schiebermütze mit braunen Zahnstummeln angrinste und es schaffte, jene unnachahmliche Mischung von Devotheit und Selbstbewusstsein an den Tag zu legen, die man nur in der britischen ›Unterklasse‹ vorfindet.
»Wo soll’s hingehen, Guv’nor?«, wollte er wissen und griff dabei mit der rechten Hand nach hinten, um mir die Tür zum Fahrgastabteil zu öffnen, in dem außer meiner Reisetasche und mir gut und gern noch drei Personen Platz gehabt hätten. Erst als wir uns lautlos in Bewegung setzten, wurde mir bewusst, dass die Moderne auch hier Einzug gehalten hatte und das Taxi elektrisch angetrieben war.
Trotz des starken Verkehrs konnte ich die harmonische Architektur der alten Universitätsstadt, der ›City of Dreaming Spires‹, bewundern, während wir auf das Christ Church College zurollten, wo Richard sein Büro hatte. Man wies mir den Weg durch ein mit schönen Schnitzereien verziertes Treppenhaus zu seinem Allerheiligsten, das im Vorzimmer von einer weiblichen Person undefinierbaren Alters bewacht wurde. Sie trug einen grauen Tweedrock und einen formlosen Pullover sowie ›vernünftiges Schuhwerk‹ und hatte das Haar im Nacken zu einem schmucklosen Knoten gebunden.
»Ich will sehen, ob Professor Moriarty für Sie zu sprechen ist«, versprach sie nicht gerade enthusiastisch und funkelte mich dabei durch ihre dicken Brillengläser an, als ob ich ihr gerade einen unsittlichen Antrag gemacht hätte.
Sie blieb eine Weile verschwunden und kam dann um keine Spur
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