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Nebenweit (German Edition)

Nebenweit (German Edition)

Titel: Nebenweit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Zwack
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von einer Welt, die mit der meinen nur Äußerlichkeiten –
    Ein Knacken meiner Überwachungskamera riss mich aus meinen Gedanken, der Bildschirm wurde hell, Stimmen …
    »Morgn, in olla Friah hod da Scheef gsogt. Dea duad si leicht, er muas ja ned aufsdeh …«, hallte es in wohltuend breitem Bayrisch aus dem kleinen Lautsprecher.
    Ich musste an mich halten, um den Männern, die ich gestochen scharf vor mir sah, nicht zuzurufen: »Verschwindet schon, ich warte auf andere Besucher!« Aber die Genugtuung war groß. Nicht nur mein Experiment hatte funktioniert, sondern jetzt hatte meine Vorrichtung sich auch in der Praxis bewährt. Jetzt fehlte nur noch, dass die Leute dort erschienen, für die ich mir die ganze Mühe gemacht hatte. Ich hörte mir den nicht sonderlich inhaltsreichen Dialog der beiden Waldarbeiter eine Weile amüsiert an und kam mir wie ein Voyeur vor, als einer der beiden mit seiner letzten Eroberung aus der Dorfdisco prahlte. Am Ende war ich froh, als wieder Stille eintrat und die Kamera kurz darauf abschaltete. Ich löschte die Videoaufzeichnung, um sicher zu sein, dass die ganze Aufnahmekapazität für Wichtigeres verfügbar war, und wartete weiter.
    Meine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, ich denke, dass ich bestimmt sechs Stunden dagesessen habe, jedenfalls lange genug, um eine ganze Flasche Wein zu leeren, als wieder ein Klicken im Apparat zu hören war. Ja, da waren Männer, und sie sahen auch so aus, wie ich sie aus meinen Träumen in Erinnerung hatte. Und sie redeten miteinander, taten dies in einer Sprache, die tatsächlich Anklänge an romanische Sprachen hatte, aber mit einer Menge kehliger Laute durchsetzt war, Lauten, wie ich sie von Schweizern, Tirolern und auch Schotten kannte, für mich aber jedenfalls völlig unverständlich. Aber die Aufnahme lief, zeichnete zehn Minuten lang das Gespräch der beiden Männer auf und hielt an, als die beiden – wieder mit einem Schnalzen wie von einer Peitsche – verschwanden. Sich in Luft auflösten!
    Ich griff mir an den Kopf, ließ die Hand sinken, griff nach dem Weinglas und nahm einen langen Schluck. Das Ganze war also keine Einbildung gewesen, war echt, war Realität, war nachvollziehbar. Ich hatte meine Anlage zwar so eingerichtet, dass ich mich den beiden Männern hätte zeigen können, auch mit ihnen sprechen, mich aber während des langen Wartens dazu entschlossen, darauf zu verzichten, mich nicht zu offenbaren und sie nicht wissen zu lassen, dass ich sie belauschen konnte. Auch wenn es ein Belauschen war, bei dem nur unverständliche Töne zu vernehmen waren. Aber immerhin Töne und Bilder, die ich jetzt auf eine Festplatte gebannt hatte und die bald auf eine DVD wandern würden.
        
     

12
     
    Die Fahrt im ICE nach Paris war wie im Flug vergangen, dachte ich, als ich mit meiner Reisetasche auf dem Gare du Nord zum Bahnsteig des Eurostar schlenderte, um die Weiterfahrt nach London anzutreten. Ich hatte zu viel über die Bequemlichkeiten der Bahnreisen gehört, um mich der Enge eines Flugzeugs anzuvertrauen, noch dazu, wenn man die lange Anfahrt zum Flughafen im Erdinger Moos und die lästigen Kontrollen bedachte. Darüber hinaus hatte ich in den bequemen Polstern des Erster-Klasse-Abteils Muße gehabt, über meine nächsten Schritte nachzudenken. Eigentlich hatte es mich gedrängt, Carol anzurufen und ihr von meinem ersten Erfolg zu berichten. Seltsam, jetzt, wo sie bei ihren Verwandten in Amerika weilte, hatte ich gar nicht mehr das Gefühl, dass das nicht ›meine‹ Carol war. Ich fühlte eine besondere Verbundenheit zu ihr, vielleicht, weil sie die einzige Person auf der ganzen Welt war, die um mein ganz besonders Schicksal wusste …
    Die Fahrpläne der beiden Expresszüge waren minutiös abgestimmt, und so vergingen keine fünf Minuten, bis die zweite Etappe meiner Reise begann und der Eurostar mich über die Weiten Nordfrankreichs in den Tunnel und zur St. Pancras Station in London trug, wo ich den Zug nach Oxford bestieg.
    Ich hatte mich vergewissert, dass mein alter Freund Richard Moriarty auch in dieser Welt Professor an der ehrwürdigen Universität Oxford war und dort einen Lehrstuhl für vergleichende Sprachwissenschaften innehatte. Er war sofort bereit gewesen, mir behilflich zu sein, auch wenn ihn mein hartnäckiges Schweigen ein wenig verstimmt hatte, als er Einzelheiten hatte wissen wollen.
    »Alles zu seiner Zeit, Richard«, hatte ich ihn am Telefon vertröstet. »Wenn ich bei dir bin, können wir das

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