Nebenweit (German Edition)
riesigen Regenschirm aufgespannt. Die Spiegelfolie war nur wenige Nanometer dick, für den Fall von Kollisionen mit auf Kreisbahn herumschwirrendem Weltraumschrott selbstreparierend und konzentrierte ein Mikrowellenbündel auf einen Empfängerspiegel auf einer künstlichen Insel im Pazifik, wo die so erzeugte Energie in Strom umgewandelt werden sollte. Angeblich sollte später ein großtechnisch erstellter Spiegel, dann mit einem Durchmesser von mehreren Kilometern, genügend Strom für die Versorgung einer Großstadt liefern. Ich nickte beifällig. Derartige Ideen hatten Science-Fiction-Autoren schon in meiner Jugendzeit angedacht. Nicht bedacht hatten sie vielleicht den Einwand von Umweltschützern, den der Moderator jetzt einspielte: Was, wenn ein Vogelschwarm in den Mikrowellenstrahl geriet? In meiner Jugend hätte man vermutlich gesagt: »Dann hat der Vogelschwarm eben Pech gehabt«, oder etwas von gebratenen Tauben gewitzelt, die einem in den Mund fliegen. Aber auch darauf und über das selbst den in solchen Dingen etwas abgebrühteren Japanern wichtigere Thema, wie es mit Flugzeugen aussah, die in den Strahl gerieten, gab es eine Antwort. Zum einen hatte man für die schwimmende Insel einen Ort weitab von allen Flugrouten gewählt, zum anderen ›begleitete‹ den Mikrowellenstrahl ein Radarstrahl, der Ersteren beim Auftreten von ›Hindernissen‹ einfach abschaltete. Dass der Moderator sich im Anschluss über die mangelnden Initiativen ›unserer‹ Weltraumforscher ausließ, gehörte wohl einfach zum medialen Repertoire und wunderte mich überhaupt nicht, sondern machte mir wieder einmal klar, wie sehr unsere Welten sich doch in dieser Hinsicht ähnelten, auch wenn ich diese hier als etwas weniger zynisch als die meine empfand.
Das Telefon summte und in der rechten oberen Ecke des Fernsehbildes wurde ein quadratisches Feld grau und meldete:
ANRUF – BILD UND TEILNEHMERKENNUNG UNTERDRÜCKT.
»Annehmen«, entschied ich beinahe automatisch.
»Spreche ich mit Herrn Bernhard Lukas?«, erkundigte sich eine neutral klingende Männerstimme mit kaum wahrnehmbarem und für mich undefinierbarem Akzent.
»Das sage ich Ihnen, wenn Sie sich zeigen und Ihre Nummer einblenden«, erwiderte ich und drückte den Aufnehmen-Schalter.
»Gerne, mein Name ist Jacques Dupont, ich hätte mich mit Ihnen gerne über einen Geräteschuppen unterhalten«, sagte die Stimme, und auf der Bildfläche erschien das Brustbild eines etwa vierzigjährigen Mannes mit rötlich blondem, leicht gewelltem, kurz geschnittenem Haar. Er trug ein legeres, dunkelblaues Strickhemd unter einem dezent karierten Sakko und wirkte wie ein mittlerer Beamter oder Angestellter. In einem Fenster in Höhe seiner Brust war die Nummer seines Anschlusses zu lesen. Ich notierte sie mir für alle Fälle.
Mit allem hatte ich gerechnet, nur nicht mit einer Reaktion nach nicht einmal einer Stunde. »Ja, ich bin Bernhard Lukas«, stellte ich mich vor und gab ebenfalls die Bildübertragung frei, sodass auch er mich sehen konnte. »Sie wollen mich wegen eines Geräteschuppens sprechen? Was meinen Sie damit?«
»Ich denke, das wissen Sie genauso gut wie ich«, lächelte mein Gegenüber. »Sie haben doch um Kontaktaufnahme gebeten, und ich bin darüber sehr erfreut. Wir haben Sie gesucht, und …«
»Wir?«, fiel ich ihm ins Wort. »Gesucht? Sie machen mich neugierig.«
»Das kann ich mir denken, und darum sollten wir uns bald persönlich treffen. Ich finde, das, was wir zu besprechen haben, eignet sich nicht für ein Telefongespräch.« Ich konnte seinen Akzent immer noch nicht einordnen, aber er war weder Franzose, wie man aus seinem Namen hätte schließen können, noch war er Deutscher. Eher hätte ich auf einen Iren oder Schotten getippt. Aber er sprach hervorragend Deutsch. »Ich könnte Sie noch heute Abend aufsuchen«, fuhr mein Gesprächspartner fort. »Ich denke, Sie sind an dem Gespräch ebenso interessiert wie ich.«
»Das bin ich allerdings«, pflichtete ich ihm bei, »aber ich würde es vorziehen, wenn wir uns in einem Lokal treffen würden, am besten in München, da habe ich morgen ohnehin zu tun.« Das war zwar nicht der Fall, ging ihn aber nichts an. Was mir Schreiber über die beiden verschwundenen Männer erzählt hatte, mahnte zur Vorsicht.
»Einverstanden, wann und wo schlagen Sie vor?«
»Sagen wir um elf, im ›Franziskaner‹. Kennen Sie das Lokal?«
»Ja, das ist doch in der Nähe des Prinzregententheaters, nicht wahr?«
»Ganz richtig,
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