Nebenweit (German Edition)
zwar noch genauso aus, wie ich das in Erinnerung hatte. Die Qualität der angebotenen Speisen freilich blieb um einiges hinter meinen Erwartungen zurück. Ich fand jedenfalls den Grouper zu trocken und den Nachtisch zu üppig, behielt dies aber wohlweislich für mich, um Cindy und Greg in ihrer lautstark vorgebrachten Begeisterung nicht zu beeinträchtigen. Möglicherweise hatte ich mich schon zu sehr an die europäische Küche gewöhnt.
Zum krönenden Abschluss hatten wir uns noch in die Planters Tavern im Untergeschoss zurückgezogen, wo derart lauter Dixieland-Jazz gespielt wurde, dass kaum eine Unterhaltung zustande gekommen war. Mir dröhnte jetzt noch ein wenig der Kopf, als ich etwas übernächtigt im Greyhoundbus nach Tampa saß, den ich bereits um 5:30 Uhr am Busbahnhof bestiegen hatte. Auf die Weise war auch der Abschied von Cindy und Greg etwas weniger rührselig ausgefallen, als das vielleicht später am Tag der Fall gewesen wäre. Ich hatte den beiden allerdings versprechen müssen, sie möglichst bald wieder, aber diesmal mit Bernhard, zu besuchen. Ich hatte auch eine Gegeneinladung ausgesprochen, aber das war natürlich beim derzeitigen Stand des Dixiedollar ein frommer Wunsch.
Während der schon angejahrte Bus über den Highway nach Süden rumpelte, ließ ich die in Carterville verbrachte Woche Revue passieren. Sie hatte mir gutgetan, dazu beigetragen, dass ich etwas Abstand von dem unheimlichen Geschehen um Bernhard gewonnen und mich halbwegs mit der Realität abgefunden hatte. Zugleich war mir der gewaltige Kontrast zwischen meinem neuen Zuhause in Deutschland und dem ärmlichen Leben in der Konföderation bewusst geworden. Anfangs waren es Äußerlichkeiten gewesen, die mir aufgefallen waren: die Bettler auf den Straßen, die Pferdefuhrwerke, die Fahrradtaxis, die verfallenen Stadtvillen in manchen Vierteln, die sich gerade deshalb so in mein Gedächtnis eingegraben hatten, weil es andere Viertel gab, in denen Bauten aus der gleichen Epoche prunkvoll renoviert waren. Die gehörten freilich meist entweder Besitzern aus den Nordstaaten oder dem Vereinigten Königreich, dessen Wirtschaft sich in der ehemaligen Kolonie einen sicheren Standort verschafft hatte. Dann das Lebensmittelangebot in den Supermärkten! Als ich hier gelebt hatte, war es mir reichhaltig erschienen, ich hatte ja nichts anderes gekannt, jetzt konnte ich es mit dem Angebot in Unterwössen vergleichen, von Rosenheim oder München ganz zu schweigen. Frisches Obst aus der ganzen Welt und völlig losgelöst von den Jahreszeiten, Äpfel aus Neuseeland mitten im Winter, Ananas, zwei Tage vorher in Brasilien geerntet, Weine aus der ganzen Welt – und das alles selbst in einem Dorfladen. Hier dagegen Regale mit zwei oder drei Käsesorten, ein paar kärgliche Flaschen Wein und ausschließlich regionales Obst – auch wenn das im Augenblick köstliche Pfirsiche waren, wie es sie wohl nur in Georgia gab …
Mit diesen Gedanken musste ich wohl eingeschlafen sein, denn die Stimme des Fahrers weckte mich unsanft mit der Mitteilung, dass wir in fünf Minuten in Tampa eintreffen würden. Ein ihm zu Beginn der Fahrt zugesteckter Zehndollarschein hatte dafür gesorgt, dass er am Flughafen einen außerplanmäßigen Halt einlegte und mir damit die Mühe ersparte, aus der Innenstadt ein Taxi nehmen zu müssen.
Ich hatte bis zum Start meines Lufthansa-Fluges noch zwei Stunden Zeit, die ich dazu nutzte, mich in dem Wartesalon etwas frisch zu machen, den die Lufthansa Passagieren der Geschäfts- und der Ersten Klasse zur Verfügung stellte. Auch Zeitungen und Zeitschriften aus Deutschland, die ich jetzt eine Woche lang vermisst hatte, lagen dort bereit, sodass ich mich schnell wieder wie zu Hause fühlte.
Bernd Lukas
19
Carol hatte mich am Samstag angerufen und sich zunächst wortreich und verlegen für ihren Ausbruch bei unserem letzten Telefonat entschuldigt und mir dann mitgeteilt, dass sie am Sonntag gegen acht Uhr morgens landen werde. Ich hatte ihr spontan angeboten, sie am Flughafen abzuholen, und mich von ihr von diesem Vorhaben auch nicht abbringen lassen, obwohl das reichliche zwei Stunden Fahrt bedeutete. Ich war mir die letzten Tage recht einsam vorgekommen und hatte mich mehrmals dabei ertappt, wie ich mit Charlie alberne Zwiegespräche führte.
Nach dem doch recht aufwühlenden Gesprächen am Freitag hatte ich fast den ganzen Tag verschlafen und war erst gegen drei durch Carols Anruf geweckt worden.
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