Nebenwirkungen (German Edition)
Whitehall ohne weiteres als vornehmer englischer Club durchgehen können. Samantha versuchte, ihre Nervosität zu verbergen, indem sie sich ein Glas Wasser eingoss und ihren Blick aus dem Fenster richtete, wo sich das Riesenrad des London Eye jenseits der Themse fast unmerklich drehte.
»Der Minister ist eingetroffen«, meldete Rowleys Sekretärin, als sie den Kaffee servierte. Gleich darauf stürmte Sir Gordon mit rotem Kopf und etwas außer Atem ins Sitzungszimmer.
»Entschuldigen Sie die Verspätung. Die Sitzung mit dem Prime Minister hat etwas länger gedauert. Ist ja auch kein Wunder, bei dem Wirbel, den Ihr Blatt veranstaltet hat.« Er warf Samantha einen durchdringenden und offen feindseligen Blick zu, doch sie ließ sich nicht einschüchtern. Ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr der Minister in vorwurfsvollem Ton weiter: »Ich will Ihnen nichts vormachen. Wir hier beim DH sind ziemlich enttäuscht, dass Sie mit Ihren Schlussfolgerungen nicht zuerst zu uns gekommen sind. Der Aufmacher Ihres Artikels ist auch nicht wirklich hilfreich. Wollten Sie denn um jeden Preis eine Panik auslösen?« Samantha zählte im Stillen langsam bis fünf, bevor sie antwortete. Es hatte keinen Zweck, sich von diesem aufgeblasenen Wichtigtuer provozieren zu lassen. Mit freundlichem Lächeln erwiderte sie ruhig:
»Im Gegenteil, Sir. Wir nennen das Kind beim Namen, um eine Panik durch wilde Gerüchte zu vermeiden. Klar und sachlich zu kommunizieren scheint uns hier angemessen. Wir haben lediglich zusammengefasst, was Sie und Ihre Leute aus Ihrer täglichen Arbeit natürlich bereits wissen.« Bastien konzentrierte sich angestrengt auf das vor ihm liegende Dossier, um ein schadenfreudiges Grinsen zu unterdrücken. Dieser Kampf der Giganten begann ihm Spaß zu machen. Jetzt verstand er, dass seine Chefin jeweils vor schwierigen Verhandlungen geradezu aufblühte. Sie war schwer zu schlagen. Der Minister schaute seine Widersacherin böse an und setzte gleichzeitig ein verkrampftes Lächeln auf.
»Selbstverständlich, aber lassen Sie uns keine Zeit mehr verlieren. Wir sind alle gespannt auf Ihre Analyse der Lage.« Samantha gab Bastien einen Wink und er begann mit der Präsentation des Recherchematerials. Zum ersten Mal sprach Dr. Howell, der CMO, als Bastien die Grafik über Ursprung und Ausbreitung der Seuche erläuterte. Er war für das gesamte Fachpersonal und die medizinischen Einrichtungen verantwortlich.
»Ihre Arbeit ist ja sehr eindrücklich, aber letztlich sind alles Spekulationen. Gibt es Beweise, dass alle diese Fälle zusammenhängen?« Robert beeilte sich, Bastien zu unterstützen und schilderte die Ergebnisse der Untersuchungen in Cambridge, die zweifelsfrei auf eine Verbreitung von Prionen hindeuteten, doch der CMO war noch nicht überzeugt.
»Haben Sie auch nur eine leise Ahnung davon, wie viele so genannt mysteriöse, zunächst unerklärliche Erkrankungen wir täglich feststellen? Manchmal dauert es einfach eine gewisse Zeit, bis man die richtige Diagnose und Therapie gefunden hat.« Samantha konnte nicht glauben, was sie hier hörte. Waren diese Leute blind? Mit allen Mitteln schienen sie sich gegen die offensichtlich verheerende Wahrheit zu sträuben. Nur mit Mühe unterdrückte sie ihren Ärger und gab Robert ein Zeichen, als er antworten wollte. Sie ließ ihren Blick vom CMO zum Minister und zurück wandern und setzte zum Todesstoss an:
»Meine Herren, Sie wissen genauso gut wie wir, dass die vielen Hinweise unsere These einer Pandemie hinreichend unterstützen, auch wenn wir keine formalen Beweise haben. Die Symptome sind eindeutig, ebenso die bekannten Autopsie-Ergebnisse. Was fehlt, sind zwei Dinge: eine Therapie und Zeit. Ich kann Ihnen versichern, dass sich diese Seuche, die noch nicht einmal einen Namen hat, stündlich weiter in der Welt ausbreitet. Bereits ist ein erstes großes Kreuzfahrtschiff unter britischer Flagge betroffen, die Crown of the Seas in der Karibik, wie Ihnen die Reederei sicher gemeldet hat. Meine Eltern sind an Bord. Vater ist gestern an dieser Krankheit gestorben.« Der Minister und seine Mitarbeiter starrten sie entsetzt an. Lange Zeit sagte niemand ein Wort, und der schwerfällige Sir Gordon begriff allmählich, dass dies nicht eine der zahlreichen Routinesitzungen war, sondern dass hier seine berufliche Existenz auf dem Spiel stand. Charles Rowley fand als erster seine Sprache wieder.
»Herzliches Beileid, Madam. Ein schreckliches Unglück.« Seine Kollegen nickten betroffen.
Weitere Kostenlose Bücher