Nebenwirkungen (German Edition)
Haustür mit langem rabenschwarzem Haar, großer Brille, modischem Pullover und Jeans stellte sich als Studentin vor.
»Der Professor ist nicht da«, sagte die Haushälterin.
»Ich weiß. Ich habe Herrn Professor Barnard eine Arbeit zur Beurteilung überlassen und er hat vergessen, sie mir heute zurückzugeben. Ich habe ihn vor seinem Kolloquium getroffen, und er riet mir, die Arbeit doch einfach hier abzuholen, da ich sie dringend brauche. Sie muss auf seinem Schreibtisch liegen.«
Mrs. Carvalho ließ sie eintreten und führte sie an den Arbeitsplatz des Professors in seiner Bibliothek. Obwohl er das Lehramt aufgegeben hatte, nahm er regelmäßig an Veranstaltungen in der Universität teil, und es war keineswegs ungewöhnlich, dass ihn ein Student oder eine Studentin besuchte, denn sein Rat war nach wie vor gefragt. Die junge Frau schaute sich auf dem Schreibtisch um. Da sie ihre Papiere nicht auf Anhieb fand, ging die Haushälterin wieder zurück an ihre Arbeit und ließ die Studentin weiter suchen. Darauf hatte die junge Frau gewartet. Die gute Mrs. Carvalho hätte wohl gestaunt, mit welcher Fingerfertigkeit diese Studentin nun die Akten auf dem Schreibtisch, in den Schubfächern und gar auf den Regalen an der Wand durchstöberte. Es war ein Routinejob für Alexandra Herting. Die falsche Studentin suchte in Windeseile nach Hinweisen, die darauf hindeuteten, dass der Professor mehr über den Fall Marchand wusste, als er zugegeben hatte, und sie musste nicht lange suchen. In einer der Schubladen lag das kopierte Dossier, das Robert Barnard vor kurzem mit seinem Kollegen besprochen hatte. Alexandra hörte die Haushälterin zurückkommen, packte das Dossier und rief: »Gefunden.«
»Gut. Oh, da kommt der Professor ja. Ich dachte, er wäre länger weg«, antwortete Mrs. Carvalho. Alexandra erschrak, schaute aus dem Fenster und sah einen Motorradfahrer in der Einfahrt. Das musste der Barnard sein. Er öffnete das Garagentor und schickte sich an, sein Motorrad in die Garage zu schieben. Das war ihre Chance. Sie stürmte an der verdutzten Haushälterin vorbei, bedankte sich und war auch schon weg. Es gelang ihr, unbemerkt hinter der Hecke an der Straße zu verschwinden. Sie war längst nicht mehr auffindbar, als Robert von der dreisten jungen Frau erfuhr, und die gute Mrs. Carvalho war untröstlich, als ihr klar wurde, dass sie einer Schwindlerin Zutritt zu des verehrten Herrn Professors Allerheiligstem verschafft hatte.
»Halb so schlimm, Rita. Es ist ja nichts passiert. Alles noch da und unversehrt«, tröstete er die Frau. Doch sie ließ sich nicht so rasch beruhigen. Sie hatte dem Professor nun bald zehn Jahre den Haushalt tadellos geführt, seit dem Tod seiner Frau. Nie hatte sie sich etwas zuschulden kommen lassen. Sie konnte es nicht ertragen, einen so dummen Fehler gemacht zu haben.
»Wenn etwas fehlt, werde ich Ihnen den Schaden ersetzen, Professor«, sagte sie mit einem Gesichtsausdruck, der keine Widerrede duldete, und betonte dabei wie gewohnt die letzte Silbe des Wortes Professor. Rita Carvalho stammte aus Portugal, wo sie ihre Eltern und Geschwister zurückgelassen hatte, als sie auf Arbeitssuche nach England ausgewandert war. Als Zimmermädchen und Kinderbetreuerin in einem Hotel an der portugiesischen Atlantikküste hatte sie in jungen Jahren viele Engländer und ihre Familien kennen gelernt. Die Stelle bei Robert Barnard empfand sie als das größte Glück, das ihr im Leben widerfahren war, so hütete sie den Professor wie ihren Augapfel.
Er ließ sich nicht auf eine fruchtlose Diskussion ein, bat lediglich um eine Tasse Tee und machte sich an die Arbeit, die ihn seit seiner Unterhaltung mit Peter beschäftigte. Was war im Süden Botswanas geschehen, dass man offenbar auch vor einem Mord nicht zurückschreckte? Er glaubte nicht an die Selbstmordthese. Die Tatsache, dass Marchands Firma sehr zugeknöpft auf seinen Anruf reagiert hatte, bestätige ihm, dass hier etwas Schlimmes vertuscht werden sollte. Das Land und die Gegend, um die es ging, lagen Robert sehr am Herzen. Er hatte einige gute Freunde in der Hauptstadt, darunter einen erfahrenen Ranger. Doch alle seine Erkundigungen über Telefon und Internet hatten ihn nicht viel weiter gebracht.
Wenn hier etwas vertuscht worden war, hatte man gründliche Arbeit geleistet. Einzig der Ort des Geschehens war durch Marchands Aufzeichnungen genau bekannt. Robert zog Peters Zusammenfassung aus der Hosentasche und setzte sich an seinen Computer. Er trug
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