Nebenwirkungen (German Edition)
Journalisten mussten sich mit einem Platz an einem der Vierertische im Innern des Großraumbüros begnügen.
»Entschuldigt die Verspätung«, rief ein junger Mann in schwarzer Lederkleidung, als er atemlos ins Büro stürmte und den Motorradhelm auf einen der Tische knallte. Er warf einen scheuen Blick zum Eckbüro gegenüber dem Eingang. Mit Erleichterung stellte er fest, dass seine Chefin noch an ihrem Bildschirm saß und ihn offenbar nicht bemerkt hatte. Die Besprechung hatte noch nicht begonnen.
»Verkehrskontrolle bei Barking. Um diese Zeit, die spinnen«, murrte der Mann in seinen blonden Schnurrbart, während er sich aus der Motorradmontur schälte. Bastien Prévost war nach seinem Studium der Philosophie und Politikwissenschaften in Frankreich als Praktikant nach England gekommen und schließlich als Junior-Redaktor hier bei Life! hängen geblieben.
»In der Tube gibt's keine Verkehrskontrollen«, bemerkte Samantha trocken hinter ihm. Er hatte seine Chefin nicht kommen hören. Verlegen drehte er sich um und stammelte unbeholfen: »Guten Morgen, Sam.«
Die Mitarbeiter in Hörweite grinsten. Bastien war ein bevorzugtes Ziel von Samanthas spitzer Zunge, und das war gut so, fanden die Kollegen, denn solange sich Samantha auf Bastien konzentrierte, fühlten sie sich mehr oder weniger sicher.
»Los, Leute, bringen wir's hinter uns«, rief Samantha und ging zwischen den Tischen hindurch zur Kaffeeecke, wo sie die tägliche Redaktionskonferenz mit ihrem Team abzuhalten pflegte. Da Kyle noch unterwegs auf der Rückreise von Paris war, berichtete sie über den Stand und die nächsten Aktionen in seinem Bereich. Sie hatte Kyles telefonischen Kurzbericht über die Pressekonferenz und den toten Marchand spät abends erhalten, als Bastien ihr half, die Agenturberichte zu einem anderen Report zu sortieren.
»Dieser Marchand hat tatsächlich bis kurz vor seinem Tod bei BiosynQ gearbeitet, zuerst in Frankreich, dann in Köln. Er war ursprünglich Biochemiker, hat sich aber wie es scheint auf die Entwicklung von Syntheseautomaten konzentriert. Jedenfalls zeichnet er als Koautor in einem entsprechenden Forschungsbericht. Über die letzten zwei Jahre konnte ich leider so gut wie nichts in Erfahrung bringen. Was ich jedoch feststellen konnte, war, dass BiosynQ die Anlage in Botswana seit fünf Jahren betreibt, dass haufenweise Hinweise auf deren Tätigkeit in den ersten drei Jahren vorliegen, aber keine über die letzten zwei Jahre.« Bastien enthüllte diese Fakten in einem derart beiläufigen Ton, dass selbst Samantha ihre Überraschung nur leidlich verbergen konnte. Sie musterte ihren Zögling, wie sie ihn insgeheim bezeichnete und fragte:
»Und wie seine Freundin heißt hast du nicht herausgefunden?«
Bastien verstand nicht, starrte sie nur mit aufgerissenen Augen an.
»War ein Scherz. Ich bin beeindruckt«, beruhigte sie ihn.
Der junge Journalist fügte zögernd hinzu: »Das Dossier ist in deiner Mail.« Samantha nickte nur, ohne ihre Freude zu zeigen. Ihr Kleiner hatte seine Effizienz einmal mehr glänzend bewiesen. Aus ihm würde einmal ein ausgezeichneter Journalist werden.
»Gut, wir können diese Sache mit den Leuten in Botswana besprechen. Vielleicht gibt es ja keinen Zusammenhang mit dem laufenden Feldversuch, doch ich habe Mühe, das zu glauben.« Nach der Besprechung winkte sie Bastien in ihr Eckbüro. In Kürze war es Zeit für die Telefonkonferenz mit Botswana, die sie mit Kyles Hilfe organisiert hatte. Bastien beneidete sie jedes Mal um die fantastische Aussicht von ihrem Arbeitsplatz. Umso mehr, als sie sich überhaupt nichts aus ihrer privilegierten Lage zu machen schien. Als einzige der Redaktion hatte sie es vor zwölf Jahren geschafft, praktisch das gesamte verstaubte und hoffnungslos heruntergekommene Mobiliar aus ihrem früheren Büro an der Pemberton Row in die Canary Wharf hinüberzuretten. Bastien hatte von alten Hasen gehört, dass der frischgebackene Organisator, der damals bei der Umzugsplanung die neue Einrichtung mit Samantha besprechen sollte, seit jenem Tag nicht mehr in der Redaktion gesehen wurde. Samanthas schönes Eckbüro war nicht nur eine Beleidigung fürs Auge, sondern auch der Schreck jeder Putzkolonne, denn ihre schwarzen Holzregale überquollen von verstaubten Bergen alter vergilbter Zeitschriften und vergessener Dossiers. Am meisten erstaunte den jungen Journalisten jedoch, dass seine Chefin jedes gesuchte Dokument auf Anhieb in diesem Chaos zu finden schien.
Es war Zeit.
Weitere Kostenlose Bücher