Nebenwirkungen
ihre Hüften schwenkte und ihr musikalisch bezauberndes Lachen durch das grimme Schweigen der Station schallte.
Ich muß sie haben, dachte Mendel, von Verlangen und Leidenschaft verzehrt, und ich darf es mir nicht wieder verpatzen wie schon bei so vielen anderen. Ich muß mit Gefühl vorgehen. Nicht zu rasch, was ja immer mein Problem ist. Ich darf nicht vorschnell handeln. Ich muß mehr über sie erfahren. Ist sie wirklich so wunderbar, wie ich sie mir vorstelle? Und wenn ja, wieweit ist sie an den anderen gebunden? Und wenn es ihn nicht gibt, hätte ich auch dann eine Chance? Ich sehe keinen Grund, weshalb ich, wenn sie frei ist, nicht um sie werben und sie bekommen sollte. Oder sie sogar diesem Mann ausspannen. Aber ich brauche Zeit. Zeit, um etwas über sie zu erfahren. Dann Zeit, um sie zu bearbeiten. Zu reden, zu lachen, ihr zu bringen, was ich an Gaben der Erkenntnis und des Humors zu bieten habe. Mendel rang die Hände beinahe wie ein Medicifürst und sabberte. Das logische Vorgehen ist, sie zu sehen, wenn ich Iskowitz besuche, und langsam, ohne zu drängen, Punkte bei ihr zu sammeln. Ich muß vorsichtig sein. Die harte Masche, das direkte Rangehen hat mir mittlerweile schon zu oft die Sache vermasselt. Ich muß zurückhaltend sein.
Nachdem das beschlossen war, kam Mendel nun Iskowitz jeden Tag besuchen. Der Kranke konnte sein Glück nicht fassen, so einen treuergebenen Freund zu haben. Mendel brachte immer ein ansehnliches und wohlüberlegtes Geschenk mit. Eines, das ihm helfen würde, in Miss Hills Augen Eindruck zu schinden. Hübsche Blumen, eine Tolstoi-Biographie (er hörte sie erwähnen, wie sehr sie Anna Karenina mochte), die Gedichte Wordsworths, Kaviar. Iskowitz war verblüfft über diese Auswahl. Er haßte Kaviar und hatte noch nie etwas von Wordsworth gehört. Mendel konnte sich gerade noch zurückhalten, Iskowitz ein Paar antike Ohrringe mitzubringen, obgleich er welche gesehen hatte, von denen er wußte, Miss Hill würde für sie schwärmen.
Der verliebte Freier ergriff jede Gelegenheit, Iskowitzens Krankenschwester in ein Gespräch zu ziehen. Ja, sie sei verlobt, erfuhr er, aber sie habe Kummer damit. Ihr Verlobter sei Rechtsanwalt, aber sie träume davon, einen mehr künstlerischen Menschen zu heiraten. Aber Norman, ihr Verehrer, war groß und dunkelhaarig und sah phantastisch aus, eine Schilderung, die den körperlich weniger reizvollen Mendel in Mutlosigkeit versetzte. Mendel posaunte seine Erkenntnisse und Beobachtungen dem langsam verfallenden Iskowitz stets mit so lauter Stimme vor, daß sie auch von Miss Hill vernommen werden konnten. Er hatte das Gefühl, er mache vielleicht Eindruck auf sie, aber jedesmal, wenn ihm seine Position aussichtsreich erschien, mischte sie Zukunftspläne mit Norman in das Gespräch. Was für ein Glück dieser Norman hat, dachte Mendel. Er verbringt seine Zeit mit ihr, sie lachen zusammen, planen gemeinsam, er drückt seine Lippen auf ihre, er zieht ihr die Schwesterntracht aus - vielleicht nicht bis aufs allerletzte Fetzchen. O Gott! seufzte Mendel, blickte himmelwärts und schüttelte vor enttäuschter Hoffnung den Kopf.
"Sie können sich nicht vorstellen, was diese Besuche Mr. Iskowitz bedeuten", sagte die Krankenschwester eines Tages zu Mendel, und ihr entzückendes Lächeln und die großen Augen brachten ihn fast an den Rand des Wahnsinns. "Er hat keine Angehörigen, und die meisten seiner anderen Freunde haben so wenig freie Zeit. Meine Meinung darüber ist natürlich, dass die meisten Menschen nicht das Mitgefühl oder den Mut haben, sehr viel Zeit mit einem aussichtslosen Fall zu verbringen. Die Leute schreiben Sterbenskranke ab und denken lieber nicht daran. Deswegen meine ich, Ihr Verhalten ist - ja - einfach großartig."
Die Nachricht davon, wie sehr Mendel Iskowitz verwöhnte, verbreitete sich, und er wurde beim allwöchentlichen Kartenspiel von den Spielern sehr bewundert.
"Was du tust, ist fabelhaft", sagte Phil Birnbaum beim Pokern zu Mendel. "Meyer erzählt mir, keiner komme so regelmäßig wie du, und er sagt, er denkt, du ziehst dich sogar für den Anlaß extra um." Mendels Geist war in dem Moment mit Miss Hills Hüften beschäftigt, die er nicht mehr aus seinen Gedanken loswurde.
"Und was macht er? Ist er tapfer?" fragte Sol Katz. "Ist wer tapfer?" fragte Mendel traumverloren. "Wer? Von wem reden wir denn? Der arme Meyer." "Oh, äh - ja. Tapfer. Ganz recht", sagte Mendel, der nicht mal bemerkte, daß er in dem Augenblick ein Full house
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