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Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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ins Gesicht. Ein Blick in den Spiegel bestätigte ihr, dass sie furchtbar aussah. Ihr Kajal war verlaufen und zeichnete dunkle Streifen auf ihre blasse Haut. Ihre Lippen waren farblos und rissig.
    Hannah nahm ein Papiertuch und entfernte die Schminke. Dann nibbelte sie sich das Gesicht trocken und fuhr mit einem Fettstift über die Lippen. Langsam kehrte wieder Farbe auf ihre Wangen zurück. Als sie die Toilette verließ, sah sie Pechstein draußen vor der Tür stehen, diesmal nicht mit einem Grinsen, sondern mit einem Ausdruck von Mitgefühl. »Wieder besser?«
    Hannah nickte und strich ihre Kleidung glatt. »Bitte verzeihen Sie«, sagte sie und fuhr sich noch einmal kurz durch die Locken. »Ist nicht meine Art, einfach so zu verschwinden.« »Sie haben es vergleichsweise gut weggesteckt«, sagte der pensionierte Kriminalbeamte und bot ihr einen Kaugummi an. Diesmal griff Hannah mit Freuden zu. »Die meisten meiner Kollegen haben bereits nach einer Viertelstunde das Handtuch geworfen. Einer hat sogar einen Kreislaufzusammenbruch erlitten.«
    Hannah schüttelte den Kopf. »Als diese Wesen anfingen, die Wände mit Kot zu beschmieren, dachte ich, ich würde es nicht mehr aushalten. Es hat nicht viel gefehlt und ich hätte mich an Ort und Stelle übergeben.«
    Pechstein lächelte. »Danke, dass Sie es nicht getan haben. Von allen Kriminalbeamten hat nur Ida es geschafft, sich das ganze Band anzusehen. Sie dürfen ihr nicht böse sein, dass sie so plötzlich verschwunden ist. Als Leiterin der Ermittlungskommission obliegt ihr die gesamte Koordination.« »Sie war Ihre Schülerin, nicht wahr?«
    »Die beste, die ich je hatte. Wissen Sie, als Frau muss man bei der Polizei doppelt so hart arbeiten wie die männlichen Kollegen. Das ist nicht immer leicht.« »Nicht nur bei der Polizei«, ergänzte Hannah. »Ida ist einer der zähesten Menschen, denen ich je begegnet bin«, fuhr Pechstein fort. »Eine fabelhafte Person.« Hannahs Magen hatte sich wieder einigermaßen beruhigt. Die Bilder ließen sich zwar nicht so einfach verdrängen, aber sie fühlte sich kräftig genug für ein paar Fragen, die ihr auf den Nägeln brannten. Pechstein bemerkte ihre Unruhe. »Kommen Sie«, sagte er. »Lassen Sie uns ins Museumseck gehen. Bei einer Tasse Kaffee lässt es sich besser reden.«
    Es brauchte mehr als nur einen Kaffee, bis Hannah überzeugt war, dass das, was der Kommissar ihr erzählte, keine Münchhausiade war. Die Schilderung der beiden Entführungsfälle war gleichermaßen schrecklich wie faszinierend. Alles schien auf einmal einen Sinn zu ergeben. Strombergs Warnung, die Darstellung des Schamanenkultes, das Menschenopfer, die Entführungen, die Wölfe, ja sogar das Wetterleuchten und der plötzliche Kälteeinbruch. Fakten und Fiktion fügten sich auf einmal zusammen wie ein Puzzle. Hannah trommelte mit ihren Fingern auf dem Koffer herum, während sie Pechstein durch das Fenster beobachtete. Er hatte einen Anruf auf seinem Handy erhalten und sich kurz entschuldigt. Sie sah, wie er draußen auf und ab patrouillierte, den Kopf gesenkt und mit einem ernsten Gesichtsausdruck. Als er wieder zu ihr kam, war er tief in Gedanken versunken. Er ging an den Tresen und kehrte mit einem Schnaps und einem Bier zurück. »Schlechte Nachrichten?«
    Er schüttelte den Kopf. »Es war Ida. Sie hat mir das Ergebnis der genetischen Tests mitgeteilt.« »Dürfen Sie es mir sagen?«
    »Ich wüsste nicht, was dagegen spricht. Ich bin in diesem Fall nur als ziviler Berater tätig. Erinnern Sie sich an den Kot, mit dem die Wände beschmiert wurden? Denselben Kot hat man auch in der Berghütte gefunden, zusammen mit Haaren, Res-ten von Fingernägeln und sonstigem organischen Material. Zwischen den beiden Funden gibt es klare Übereinstimmungen. Die Genanalyse hat festgestellt, mit was für einer Art von Wesen wir es hier zu tun haben. Hat zwar einige Stunden gedauert, aber das Ergebnis ist eindeutig.« »Und?«
    Er nahm das Schnapsglas und kippte den gesamten Inhalt auf einen Zug hinunter. »Es sind Menschen.«
     
     
     
     
     
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    Menschen?« Hannah schüttelte den Kopf. »Also ich habe Tiere gesehen.«
    Ist das nicht merkwürdig? Und es kommt noch besser.« Pechstein rückte näher an Hannah heran und senkte seine Stimme. »Wir haben anhand der Videoaufzeichnungen ein Bewegungsmuster anfertigen lassen. Nicht nur, dass diese Wesen ohne Probleme auf allen vieren laufen können, sie sind auch in der Lage, aus dem Stand Sprünge von drei oder vier

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