Nebra
schüttelte ihr die Hand. »Wissen Sie schon etwas darüber, wer die Tat verübt hat?«
»Leider nein«, sagte Ida. »Um ehrlich zu sein, wir tappen ziemlich im Dunkeln. Ich hatte gehofft, dass Sie uns weiterhelfen können.«
»Ich bin ziemlich erschüttert.«
»Kann ich mir vorstellen. Für uns ist dieser Fall auch nicht alltäglich, das können Sie mir glauben.« Ida winkte einen Beamten zu sich. »Bitte verwahren Sie das Gepäck von Frau Peters in der Garderobe des Museums. Sie wird es nachher dort abholen.«
Als der Wachmann zum Sicherheitskoffer greifen wollte, bückte sich die Archäologin schnell, nahm ihn hoch und presste ihn an die Brust. »Den möchte ich lieber selbst tragen«, sagte sie mit einem entschuldigenden Blick. »Er enthält wichtige Dokumente, die ich nur ungern aus der Hand gebe.« Interessant, dachte Ida. Dann nickte sie, und der Wachmann entfernte sich mit dem anderen Koffer.
»Ich habe Sie eigentlich nicht vor morgen früh erwartet«, sagte Ida. »Wie sind Sie so schnell hierhergekommen?«
»Ein Bekannter hat mir seinen Hubschrauber und sein Privatflugzeug zur Verfügung gestellt«, sagte die Archäologin mit einem Augenzwinkern. »Es war die kürzeste Anreise meines Lebens.«
»Solche Freunde hätte ich auch gerne«, sagte die Kommissarin. »Scheinbar habe ich den falschen Beruf gewählt.« Die Archäologin lächelte kurz, dann schlug sie den Kragen ihrer Jacke hoch und schlang die Arme um sich. »Verdammt, ist es hier kalt geworden. Schnee Ende April, das hat es noch nie gegeben, oder?«
»Nicht dass ich wüsste«, sagte Ida. »Aber das Wetter macht ohnehin, was es will. Und Sie arbeiten an der Himmelsscheibe von Nebra? Dr. Feldmann hat es mir erzählt«, fügte sie schnell hinzu.
Hannah nickte. »Das war der Grund meines Besuchs in Schottland. Wir sind da auf einige interessante Fakten gestoßen. Die Erforschung der Scheibe ist noch lange nicht abgeschlossen.« »Ich habe Ihnen ja berichtet, dass man versucht hat, die Scheibe zu stehlen. Haben Sie eine Erklärung dafür?« »Ehrlich gesagt, wundert es mich nicht«, sagte die Archäologin. »Sie ist der wertvollste Besitz des Museums. Es hat schon öfter Einbruchsversuche gegeben.«
»Nur mit dem Unterschied, dass die Einbrecher diesmal genau wussten, dass sich das Original nicht im Museum befindet. Und sie wussten offenbar Bescheid über die Sicherheitsabfrage, über den Schlüssel und über den Zahlencode. Vermutlich war das der Grund, warum sie es auf Bartels abgesehen hatten. Er war das perfekte Opfer. Labil, Einzelgänger und nachtaktiv. Es ist nur einem unerhörten Zufall zu verdanken, dass die Einbrecher keinen Erfolg hatten. Irgendjemand muss kurz zuvor den Zahlencode erneuert haben. Stefan Bartels wusste davon offenbar nichts und hat versucht, die Tür mit dem alten Code zu öffnen.«
»... und ist daran gescheitert.« Alles Leben war aus dem Gesicht der Archäologin gewichen. »So ist es.«
»Ich habe den Code kurz vor meiner Abreise geändert. Es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass er regelmäßig erneuert wird.«
»Haben Sie Stefan Bartels den neuen Code geschickt?« »Ich ... nein.« Hannah zögerte. »Er war in letzter Zeit etwas unzuverlässig. Dr. Feldmann hat mich gebeten, den Code nicht an Bartels weiterzugeben. Er hat ein ...«, die Archäologin verstummte.
»... ein Akoholproblem?«, führte Ida den Satz zu Ende. »Sie brauchen deswegen kein schlechtes Gewissen zu haben. Ihre Mitarbeiter haben alle mehr oder weniger bestätigt, dass Stefan Bartels Alkoholiker war. Wir wissen von der Abmahnung, die er deswegen von Dr. Feldmann erhalten hat. So gesehen, war es eine glückliche Fügung, dass er den Code nicht kannte. Für ihn selbst war es allerdings nicht so glücklich.« Ida öffnete Hannah die Tür, die zum Parkplatz hinausführte. Seite an Seite schritten die beiden durch den Schnee Richtung Labor. »Ich möchte Sie jemandem vorstellen«, sagte die Kommissarin. »Jemandem, der bereits sehr lange an dem Fall dran ist und der über die Jahre eine Menge Fakten zusammengetragen hat. Er war mal mein Vorgesetzter, befindet sich jedoch seit einiger Zeit im Ruhestand. Ich glaube, dass er uns mit seinem Wissen unschätzbare Dienste erweisen kann.« Sie klopfte an die Tür. Es dauerte eine Weile, dann wurde sie geöffnet. Pechsteins gedrungen wirkende Gestalt erschien auf der Türschwelle. Wie immer trug er seine speckige Lederjacke, und in seinem Mund steckte ein Kaugummi, auf dem er genüsslich herumkaute.
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