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Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Tathergang auf den Bändern aus mehreren Perspektiven zu sehen, war ein anderes Kaliber. Außerdem - und das machte die Sache so bedenklich - schien dieser Fall in direktem Zusammenhang mit der Entführung auf der Achtermannshöhe zu stehen. As sie sich dessen bewusst geworden war, hatte Ida umgehend eine Ermittlungskommission ins Leben gerufen, deren Erkenntnisse unter dem nüchternen Titel Aktenzeichen 34219/08 archiviert werden würden. Ab jetzt arbeitete eine Hundertschaft von Beamten an dem Fall, der inoffiziell den Titel »Brockengeist« trug. Ida hatte die Ergebnisse der Spurensicherung noch nicht vorliegen, würde aber ihre Hand ins Feuer legen, dass die Haare, die man gestern bei der Hütte gefunden hatte, mit denen im Museum identisch waren. Haare eines toten Wolfs, wie ihr Kollege Pechstein ihr erklärt hatte. Hinzu kam der Bericht des Augenzeugen Günther Hoffmann, den sie gestern allzu leichtfertig als traumatisch bedingte Halluzination abgetan hatte. Nach dem heutigen Vormittag fühlte sie sich selbst reif für eine psychotherapeutische Behandlung.
    Eines war klar: Das, womit sie es hier zu tun hatten, waren keine bekannten Tiere. Keine Wölfe - lebende oder tote -, keine Bären, keine Hunde und keine Primaten. Ida hatte zwei Sachverständige aus dem Leipziger Zoo kommen lassen, um auf Nummer sicher zu gehen. Beides weitgereiste Zoologen mit langjähriger Erfahrung und einem geradezu enzyklopädischen Wissen über seltene und unerforschte Tierarten. Keiner von ihnen traute sich zu, die beiden Angreifer taxonomisch einzuordnen. Mittels Ausschlussverfahren hatte man schließlich festgestellt, dass diese Art noch nirgendwo beschrieben worden war. Die Frage, die im Raum stand, lautete: Waren es überhaupt Tiere? Konnte es sich nicht um Menschen handeln? Ein Spezialist von der pathologischen Rekonstruktion hatte sich die Mühe gemacht, einige Standbilder auszudrucken, anhand derer er feststellen wollte, wie diese Wesen wirklich aussahen. Er arbeitete mit einem Computerprogramm, das eigens entwickelt worden war, um Leichen von Unbekannten zu rekonstruieren und so die Suche nach Angehörigen zu erleichtern. Gerade im Zustand fortgeschrittener Verwesung war von den Gesichtern häufig kaum noch etwas zu erkennen. Das Programm ging von den Knochen aus, addierte Muskelgruppen, Fett und Haut. Nach einigen Stunden lieferte es Bilder, die so gut waren, dass man sie als Fahndungsfotos verwenden konnte. Das Programm konnte auch andersherum arbeiten, also Fell und Haare subtrahieren, um zu sehen, was sich darunter befand. Es wäre spannend, zu erfahren, was sich unter all den Schichten aus totem Fell befand. Solange das Programm lief, konnte Ida sich gezielt mit dem dritten Täter befassen. Nach Dr. Feldmanns Aussage handelte es sich bei dem Mann in der seltsamen Kostümierung um einen Schamanen. Ein Schamane? Waren die nicht längst ausgestorben? Andererseits: Man las immer wieder von Menschen, die ihr bürgerliches Leben aufgaben und freiwillig wie im tiefsten Mittelalter lebten. Aussteiger, Hippies, Freaks. Ob der Schamane auch bei dem Angriff auf der Achtermannshöhe zugegen war, würde sich noch zeigen. Die Ermittlungen liefen noch. Sie stieß einen leisen Fluch aus, nahm eine Handvoll Schnee, formte daraus einen Ball und warf ihn gegen die Hauswand. Sie wollte gerade wieder zurück ins Haus gehen, als ihr Handy klingelte.
    »Hier Hauptwachtmeister Volkmann«, meldete sich eine schleppende Stimme. »Ich stehe hier vor dem Haupteingang des Museums. Eine Frau Dr. Peters ist gerade eingetroffen. Sie hat gesagt, sie solle sich bei Ihnen melden.« »Peters? Wow, die war aber schnell«, entfuhr es Ida. Sie hatte mit der Archäologin eigentlich nicht vor Montagmorgen gerechnet. Na, umso besser. »Sagen Sie ihr, sie soll warten. Ich bin gleich da.«
    Das war mal eine erfreman sich in diesen Akademikern täuschen konnte. Sie steckte das Telefon weg und eilte zum Haupteingang.
    Die Frau auf der Treppe war einen halben Kopf größer als sie. Sie hatte rotbraune Haare und sah ein wenig blass aus. Vermutlich waren die Temperaturen in Schottland frühlingshafter gewesen als hier in Halle. Neben ihr standen zwei Koffer, einer davon ein hartschaliger Sicherheitskoffer. Mit ausgestreckter Hand ging Ida auf sie zu.
    »Hallo Frau Dr. Peters«, sagte sie. »Freut mich, dass Sie so schnell kommen konnten.«
    »Ich habe alles stehen und liegen lassen, nachdem ich von dem Einbruch und der Entführung gehört habe«, sagte die Frau und

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