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Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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nickte. »So ist es. In der Vorstellung der Babylonier wird der Tag aus der Nacht geboren, nicht umgekehrt. Die Nacht ist der Vater des Tages.«
    Hannah sagte eine ganze Weile gar nichts. Und dann, als ob ihr jemand den Schleier von den Augen gezogen hatte, flüsterte sie: »Mesopotamien.«
    »Das Zweistromland, ganz genau. Gelegen zwischen Euphrat und Tigris. Wenn mich nicht alles täuscht, liegt der Schlüssel zu dem Geheimnis im heutigen Irak. Hat Norman dir den Kopfstein gezeigt?« »Allerdings.«
    »Dann weißt du, was ich meine. Der Schlüssel zu den Geheimnissen der Himmelsscheibe liegt in Babylon und nirgendwo sonst. So gesehen, war es sinnlos, die Antwort auf deine Frage am Nil zu suchen. Die Ägypter verehrten die Sonne als obersten Gott, nicht den Mond.« »Und die Plejaden...?«
    »Die Plejaden waren eines der wichtigsten Symbole im Zweistromland«, sagte Michael. »Sowohl die Sumerer als auch die Babylonier und Assyrer verehrten und fürchteten das Siebengestirn. In ihrer Vorstellung handelt es sich um Dämonen. Um die sieben Sturmwinde des alten Babylon: Asakku, Namtaru, Utukku, Alu, Etmmu, Gallu und Ilu. Es gibt ein viertausend Jahre altes babylonisches Beschwörungsrelief, auf dem die Dämonen beschrieben werden.« Er öffnete das Buch, das er extra für Hannah bereitgelegt hatte. »Hier ist es.« Er deutete auf die alte Schwarzweißfotografie einer steinernen Grabplatte.
    »Gegen den Menschen wüten sie, essen das Fleisch, lassen das Blut sich ergießen, trinken die Adern. Unablässige Blutsäufer sind sie. Asakku und Namtaru nahen sich dem Kopf, der böse Utukku naht sich dem Hals, der böse Alu naht sich seiner Brust, der böse Etmmu naht sich seiner Leibesmitte, der böse Gallu naht sich seiner Hand, der böse Ilu naht sich seinem Fuß.«
    »Großer Gott.«
    »Ja, allerdings«, stimmte Michael ihr zu. »Vielleicht erkennst du jetzt die wahre Bedeutung der Himmelsscheibe. Diese Dämonen waren gefürchtet. Sie allein besaßen die Fähigkeit, den Himmel anzugreifen - den Herrschaftsbereich der Götter. So mächtig waren sie, dass sie dem Gott des Mondes trotzen und eine Mondfinsternis beschwören konnten. Sieh her.« Er blätterte ein paar Seiten weiter und zeigte eine andere Steinplatte. Hannah las laut:
    »Dichte Wolken, die die Finsternis des Himmels herbeiführen sollen, sind sie.« Sie hob den Kopf. »Was bedeutet das?« »In manchen Überlieferungen werden diese sieben als ein einziger Dämon dargestellt. Als ein vom Gebirge herabfahrender, alles verheerender Westwind.« »Pasusu!«
    »Genau. Siehst du die Verbindung, Hannah? Die Bronze wurde bekanntermaßen nicht in Europa erfunden, sondern im Süden. Vermutlich im Zweistromland, wo es Erze wie das Stannit gibt. Ein Erz, in dem in natürlicher Form die Metalle Kupfer und Zinn enthalten sind. Allerdings in zu geringer Menge, um daraus wirklich Kapital zu schlagen. Über komplizierte Handelswege, entlang der großen Flüsse Donau, Rhein und Elbe, gelangten die Händler aus dem Süden bis in die Region des Harzes - und darüber hinaus bis in die Bretagne und zu den Britischen Inseln. Besonders dort lagen die Zinnvorkommen, die für die Herstellung großer Mengen von Bronze unerlässlich waren. Kupfer gab es reichlich auch im Alpenraum, zum Beispiel am Mitterberg, im Salzburger Land. Mächtige Handelsbeziehungen wurden geknüpft. Mit dem Technologietransfer ging ein kultureller Austausch einher. Dunkelhäutige Händler kamen, ließen sich hier nieder und gingen ihrem Handwerk nach. Das Schmieden der Bronze war für die spät-steinzeitlichen Kulturen hier im Norden wie ein Wunder. Es entstand ein Metall, so hart und widerstandsfähig, dass es sogar Steinklingen ebenbürtig war. Außerdem ließ es sich in jede gewünschte Form gießen oder schmieden - Zauberei. Menschen, die so etwas vollbringen konnten, wurden verehrt. Schmiede wurden in den Stand von Göttern erhoben. Es bildete sich eine mächtige Priesterkaste. Und natürlich pflegten sie ihre alten Traditionen, glaubten an ihre alten Götter und Dämonen. Sie waren es, die die erste Himmelsscheibe schmiedeten, und sie waren es, die sie ihren Göttern und Dämonen - dem Mond und den bösen sieben - widmeten.« »Und was ist mit den Menschenopfern?« »Die hatte es bis zu jenem Zeitpunkt in diesen Breiten gar nicht gegeben. Sie kamen erst mit der Bronze aus dem Süden. Menschenopfer hängen ursächlich mit der Beschwörung von Dämonen zusammen - sie zählen zur sogenannten schwarzen Magie. Was

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