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Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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April gehörte.
    Doch Hannahs Laune war alles andere als frühlingshaft. Das Gespräch mit Pechstein hatte sie innerlich so aufgewühlt, dass sie in der Nacht kaum ein Auge zubekommen hatte. Sie fühlte sich gerädert, hatte einen knurrenden Magen und das unbestimmte Gefühl, zwischen ihr und Michael würde sich eine Katastrophe anbahnen. Schlechte Voraussetzungen für ein vernünftiges Gespräch. Sie schaltete den Motor ab, stieg aus und schlug die Tür hinter sich zu.
    Michael öffnete, noch ehe sie überhaupt den Klingelknopf gedrückt hatte. Er machte ein ernstes Gesicht, wirkte aber so, als hätte er sie bereits erwartet. Mit einer einladenden Geste bat er sie, ins Haus zu kommen.
    Hannah schnürte an ihm vorbei, ohne Handschlag, ohne Kuss und ohne ein Wort der Begrüßung. Sie ging direkt in die Küche und ließ sich dort auf einen Barhocker fallen, der neben der brusthohen Theke stand.
    Michael schien keinesfalls überrascht, sie in dieser Laune zu sehen. Er war die Ruhe selbst. »Darf ich dir einen Cappuccino anbieten? Du siehst aus, als hättest du noch nicht gefrühstückt. Einen Toast mit Eiern und Speck?« Hannah widersprach nicht, und so machte er sich ans Werk. In Minutenschnelle zauberte er ein Frühstück, wie es jedem englischen B&B zur Ehre gereicht hätte. Das Rührei und der kross gebratene Speck rochen zu verführerisch, um sie stehenzulassen, und so begann sie zu essen. Es schmeckte genauso phantastisch, wie es aussah. Sie spürte, wie ihr Zorn mit jedem Bissen kleiner wurde. Dennoch reichte die Stärkung nicht aus, um sie vollständig zu besänftigen. Als Michael sich beiläufig nach ihrer Schottlandreise erkundigte, zuckte ihr Kopf hoch. »Ich bin nicht hier, um über Schottland zu reden.« »Ja, ich weiß«, sagte er und füllte ihr noch einmal Orangensaft nach. »Du möchtest etwas über mich erfahren, und das ist dein gutes Recht. Ich verspreche dir, nichts zu verheimlichen und nichts zu beschönigen, in Ordnung? Also. Wo fangen wir an?«
    »Hast du etwas mit dem Einbruch im Museum zu tun?« Ein schmales Lächeln tauchte auf seinem Gesicht auf. Es schien, als habe er die Frage erwartet. Ohne den Blick abzuwenden und ohne das geringste Anzeichen von Verunsicherung oder Verzögerung, sagte er: »Nein.« Hannah hielt ihn etwa eine halbe Minute mit ihrem Blick gefangen. So lange, bis sie restlos überzeugt war, dass er die Wahrheit gesagt hatte. Sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, aber ihr fiel eine große Last von den Schultern. Sie nahm einen Schluck aus ihrer Cappuccinotasse.
    »Dennoch«, sagte Michael, »fühle ich mich an dem, was geschehen ist, mitschuldig.« »Wie meinst du das?«
    Er griff in die Tasche, holte die kleine Hirschhornflasche heraus und nahm einen Schluck. Hannah erinnerte sich an ihre Wanderung auf dem Berg. Damals hatte sie geglaubt, es wäre etwas Hochprozentiges, aber vielleicht hatte sie sich geirrt, und es war eine Art Medizin.
    »Die Polizei war gestern Vormittag bei mir«, sagte er. »Sie hat mich gründlich unter die Lupe genommen. Ein besonders hartnäckiger alter Knabe mit speckiger Lederjacke war dabei. Er hat damals die Ermittlungen im Entführungsfall geleitet.« »Pechstein.« »Du kennst ihn?«
    »Allerdings. Wir hatten ein langes und sehr unerquickliches Gespräch.«
    Michael nickte. »Dann weiß ich, woher der Wind weht. Pechstein hat mir nie über den Weg getraut. Er verfolgt mich bereits mein halbes Leben. Er ist besessen von dem Fall. Eigentlich hatte ich gehofft, er wäre mittlerweile im Ruhestand.« »Ist er auch«, sagte Hannah. »Er wurde eigens für diesen Fall reaktiviert.«
    »Verstehe.« Michael schenkte sich selbst ein Glas Orangensaft ein und trank es in einem Zug leer. »Wie auch immer«, sagte er, als er das Glas wieder abstellte, »ich habe bei dieser Gelegenheit einiges über den Einbruch erfahren. Den Ablauf, die Zusammenhänge und so weiter. Es war alles noch viel schlimmer, als ich gedacht hatte. Mitschuldig fühle ich mich deshalb, weil ich dich nicht nachdrücklicher auf die drohende Gefahr aufmerksam gemacht habe. Ich habe mich einlullen lassen von der Information, dass die Sicherheitsanlage demnächst erneuert werden soll.« »Was hättest du mir sonst geraten?«
    »Die Scheibe umgehend zu entfernen, sie auszutauschen, irgendetwas in der Art. So lange, bis Walpurgis vorüber ist.« »Das haben mir schon andere geraten.« Hannah stemmte ihre Arme gegen den Tisch. Sie zögerte einen Moment, dann fragte sie: »Du bist die

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