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Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Anschlag missglückt ist. Hannah hat die Videoaufzeichnungen gesehen, und was sie zu berichten weiß, ist sehr besorgniserregend. Magst du uns davon erzählen?« »Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll«, begann die Archäologin mit leiser Stimme. »Was ich gesehen habe, waren keine Menschen.« Sie zögerte. »Jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Es waren wolfsartige Kreaturen, die von einem Mann, der wie ein Waldgeist gekleidet war, angeführt wurden. Das Ganze war so bizarr, dass es mir immer noch schwerfällt, zu glauben, was ich da gesehen habe. Mit äußerster Gewalt drangen sie in den Laborbereich ein und wollten die Scheibe aus dem Hochsicherheitsbereich stehlen. Um ein Haar wäre es ihnen gelungen. Ein guter Freund und Arbeitskollege wurde dabei misshandelt und anschließend entführt. Gott weiß, was sie mit ihm vorhaben. Bislang fehlt jede Spur von ihm.« Cynthia glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. »Das ist ja grauenvoll«, sagte sie. »Als ob sich der Alptraum wiederholen würde.« »Ihr versteht jetzt vielleicht, warum ich euch habe kommen lassen«, sagte Michael. »Diese Tat steht in unmittelbarem Zusammenhang mit unserer Entführung. Wie es scheint, ist die Sekte wieder aktiv geworden. Sie wollen die Scheibe, und sie wollen sie jetzt. Daher ist Eile geboten. Beltane steht unmittelbar bevor. Es wird eine neue Anrufung stattfinden. Die Zeichen sind unübersehbar.« Karl runzelte die Stirn. »Welche Zeichen?« »Die Erdstöße, das Leuchten über dem Berg und der plötzliche Kälteeinbruch. Darf ich mal deinen Hals sehen, Karl?« Er ging zu seinem Freund hinüber und warf einen Blick auf dessen Nacken. »Dachte ich's mir doch. Und bei dir, Cyn?«
    Ohne ein Wort zu sagen, hob sie ihre Haare, so dass alle die angeschwollene und entzündete Brandnarbe sehen konnten. »Bei mir ist es dasselbe«, sagte Michael. Er strich sich das Haar zur Seite und ließ alle einen Blick auf seine eigene Narbe werfen. Das Schneckenmuster wirkte unnatürlich rot auf der hellen Kopfhaut. Fast so, als würde es brennen. »Was ist das?«, fragte Hannah, als sie die Narbe mit leicht angewidertem Gesichtsausdruck betrachtete. »Das ist unser Mal«, sagte Michael. »Es wurde uns am Tag unserer Opferung mit einem Brandeisen beigebracht. Wir sind Gezeichnete, Hannah. Wir stehen immer noch unter dem Bann, der vor zwanzig Jahren über uns gesprochen wurde.« Die Archäologin schwieg. Offenbar war sie sich nicht sicher, was sie dazu sagen sollte. Cynthia vermutete, dass diese Geschichte für einen Außenstehenden wie eine haitianische Voodoosage klingen musste. Für sie selbst, Karl und Michael war sie bittere Realität.
    »Nehmen wir mal an, du hast recht«, sagte Cynthia und nahm die Hände aus den Hosentaschen. »Nehmen wir mal für einen Augenblick an, es gibt wirklich einen Zusammenhang - dann stellt sich in meinen Augen nur eine Frage: Gibt es etwas, was wir tun können?«
    »Du hast dich nicht verändert.« Michael schenkte ihr einen warmherzigen Blick. »Immer die Erste, wenn es darum geht, zuzupacken. Die Tatsache, dass sich unsere Brandmale alle zum selben Zeitpunkt bemerkbar gemacht haben, lässt nur einen Schluss zu: Es gab eine erste Beschwörung, und sie war erfolgreich.«
    »Was? Wie denn?«, platzte Karl heraus. »Ich habe keine Ahnung«, sagte Michael. »Nach meiner Information ist eine vollständige Anrufung ohne die fehlende Scheibe gar nicht möglich. Vielleicht ist ihnen nur eine Teilbeschwörung gelungen - bereits das wäre schlimm genug. Die Polizei tappt, wie es scheint, völlig im Dunkeln. Es ist also an uns, den ersten Schritt zu tun. Wir müssen den Versammlungsort finden, und wir müssen versuchen, das Ritual zu unterbrechen. Entweder, indem wir sie um die Scheiben erleichtern, oder indem wir den ganzen Laden ausräuchern. Jedes dafür in Frage kommende Mittel soll mir recht sein.« Karl wirkte immer noch skeptisch. Cynthia glaubte aber an ihm eine Veränderung festzustellen. Immerhin saß er zusammen mit ihr und Michael in einem Boot. »Zuerst mal müssen wir überhaupt den Eingang finden«, sagte sie. »Wenn ich deiner Erinnerung auf die Sprünge helfen darf: Der Zugang, durch den wir damals geflohen sind, ist weg. Verschüttet, eingestürzt, gesprengt, was weiß ich. Auf jeden Fall ist er nicht mehr da. Was, wenn es keinen zweiten Eingang gibt?«
    »Es gibt ihn, davon bin ich überzeugt«, sagte Michael. »Er ist gut versteckt, und es wird nicht leicht werden, ihn zu finden, aber er existiert.«

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