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Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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la taapsuühti ühallüq kulatsiin.« John runzelte die Stirn. Was in Gottes Namen war das für eine Sprache? Sumerisch? Akkadisch? Babylonisch? So etwas hatte er noch nie zuvor vernommen. Die Worte klangen dunkel und unheilverkündend.
    Das Opfer war rundum angekettet worden und konnte sich nicht rühren. Der Schamane, der seit der Ankunft der Hohepriesterin ganz damit beschäftigt war, seinen Dolch mit rätselhaften Beschwörungen zu besprechen, hob seinen Kopf und richtete sich an die Menge. »Anaku kuraäs!«
    Er reckte den Dolch in die Höhe, und die Menschen senkten ehrfürchtig ihre Häupter. »Lugal kissat lugal gal lugal dannu lugal.«
    Er drehte sich um und ging zum Opferstein. Langsam, wie ein Raubtier, umkreiste er den Block. »Lugal kur sumeri ü akkadi kibraati erbeeti.« Der erste Schnitt verlief über das Handgelenk der Frau. John sah mit Grauen, wie Blut aus der Wunde trat und an ihren Fingern herabzutropfen begann. »Dumu kaambuzüa lugal gal lugal um ansaan dumu.« Der zweite Schnitt erfolgte knapp über dem rechten Fußknöchel.
    »Dumu kuraas lugal gal lugal.«
    Ein weiterer Schnitt oberhalb des linken Fußgelenks. »Uru ansaan sä bal.«
    Und der letzte Schnitt am linken Handknöchel. Das Blut lief in schmalen Rinnsalen am Stein herab und sammelte sich in den Vertiefungen, in denen die Scheiben ruhten. Wieder war dieses sirrende Geräusch zu hören, und wieder wurde der Stein in Schwingung versetzt, doch diesmal stärker als zuvor. Johns Mund blieb vor Staunen offen stehen. Es war unübersehbar: Der Block wurde an manchen Stellen regelrecht durchsichtig. Mehr noch: Er schien von innen heraus zu glühen. Das Leuchten war dort am stärksten, wo die Scheiben aufsaßen. Feurige Linien zogen sich entlang ihrer Basis, breiteten sich entlang der Runen und Ornamente über den ganzen Altarstein aus. Eines war gewiss: Scharlatanerie war das nicht. Hier war etwas Unerhörtes im Gange.
    Über den schwarzen Felsen wanderten dämonische Zeichen, verbotene Worte, deren Sinn sich nur den Eingeweihten erschloss. Der ganze Felsblock war von einem teuflischen Feuer erfasst worden. Mit glühender Macht erwachten die vier Himmelsscheiben zum Leben. Die Sterne auf ihrer Oberseite brannten wie glühende Kohlen. John spürte, welche Kraft ihnen innewohnte.
    Ein Lichtstrahl brach durch die Dunkelheit, eine Säule gebündelter, ungefilterter Energie. Er durchstieß den steinernen Felsblock, die Brust der Frau und das Deckengewölbe über ihren Köpfen. John hielt den Atem an. Der Höhepunkt der Zeremonie war gekommen. Der Schweiß glänzte auf den Gesichtern der Anwesenden. In Michaels Augen loderte Besessenheit, sein Gesicht war zu einer Maske des Wahnsinns verzerrt. Mit einem Mal verstand John, warum Hannah eine solch tiefe Abneigung gegen religiösen Fanatismus entwickelt hatte. Er brachte nur das Schlechte im Menschen zur Geltung. Seine niederen Instinkte, seine animalische Seite, seine bis über die Selbstzerstörung hinausgehende Energie. Eine Energie, die keinen Halt machte vor dem Körper, vor der Seele, vor der Schöpfung. Sie war wie ein alles verzehrendes Feuer. Mit einem Blick, der einem die Angst in die Glieder treiben konnte, richtete der Schamane seinen Dolch auf die Brust des Opfers. Der Lichtstrahl bog und krümmte sich. Fast schien es, als wäre er lebendig. John kniff die Augen zusammen. Irrte er sich, oder hatte er die Form einer Klaue angenommen? Einer gigantischen, feurigen Klaue mit gekrümmten Nägeln und knochigen Gelenken. Unnatürlich lange Finger krümmten und streckten sich, als könnten sie gar nicht erwarten, der unschuldigen Frau die Seele aus dem Körper zu reißen. In diesem Moment erklang ein Ruf. Eine klare helle Frauenstimme schallte durch die Höhle. Klaue mit gekrümmten Nägeln und knochigen Gelenken. Unnatürlich lange Finger krümmten und streckten sich, als könnten sie gar nicht erwarten, der unschuldigen Frau die Seele aus dem Körper zu reißen. In diesem Moment erklang ein Ruf. Eine klare helle Frauenstimme schallte durch die Höhle.
    Der Schamane fuhr herum. Ebenso die Seherin, der verbliebene Wächter und sämtliche Anwesenden. In ihren Augen spiegelte sich Unglauben, gefolgt von Wut. Wer konnte es wagen, die heilige Zeremonie zu stören? Aus dem Seitengang, in den Michael vor einer Stunde mit seinen Gefangenen verschwunden war, waren zwei Frauen getreten. John glaubte, sein Herz würde aussetzen. Es waren Hannah und Cynthia. Sie waren am Leben, doch ihr Anblick war

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