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Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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erschreckend. Ihre Kleidung war zerrissen und völlig verdreckt, Arme und Beine waren mit Blut verschmiert. Ein unheimliches Funkeln loderte in ihren Augen. Zwei Furien, die soeben das Tor zur Hölle durchschritten hatten. Mit erhobenen Köpfen traten sie aus dem Dunkel, zu allem entschlossen. Die blitzenden Schwerter in ihren Händen unterstrichen diesen Eindruck. Wo war Karl? Keine Spur von ihm. Genauso wenig wie von dem zweiten Wächter. Während John sich noch fragte, was dort unten wohl geschehen sein mochte, trat Hannah vor, hob ihren Arm und deutete mit ihrem Schwert auf Michael. »Lass sie frei.« Ihre Stimme war laut, aber dennoch von einer unumstößlichen Gewissheit. »Lass sie frei, oder ich werde dich töten, das schwör ich dir!« Michaels Augen flackerten. Er sah aus, als könne er selbst nicht glauben, was er gerade gehört hatte. Einen Moment lang huschte ein Ausdruck von Furcht über sein Gesicht. Doch genauso schnell, wie er aufgetaucht war, verschwand er auch wieder. Zurück blieb die kalte, undurchdringliche Maske eines Besessenen. Mit einem höhnischen Lachen hob er den Dolch und ließ ihn mit aller Kraft in die Brust seines Opfers fahren. Es gab ein Knirschen, dann schoss ein Blitz aus der Klinge. Blendende, gleißende Helligkeit erfüllte den Raum. Ein Donner wie von tausend Kanonen ließ den Boden unter ihren Füßen erzittern. Eine Druckwelle aus heißer, schwefelhaltiger Luft fegte durch die Höhle und riss alle von den Füßen, die sich nicht irgendwo festhielten. Glühender Sand fegte ihnen ins Gesicht und brannte auf der Haut wie hundert Nadelstiche. John, der die Augen vor Schmerz und Entsetzen schloss, glaubte, die Pforten der Hölle hätten sich aufgetan.
    Hundert Meter über ihren Köpfen, direkt oberhalb der Brockenspitze, stieg ein gleißender Feuerball in den Himmel. Lodernde Schwingen entfalteten sich und brachten die Luft zum Kochen.
    Das Portal hatte sich geöffnet.
     
     
     
66
     
    Hotelmanager Bertram Renz hob sein Mikrofon über die tanzende, schwitzende Menschenmenge. Auf der Bühne des Goethesaals stehend, zählte er laut die letzten Sekunden bis Mitternacht herunter. Die Musik hatte für einen Moment ausgesetzt, und die hundertfünfzig Gäste, die nach dem Musical, dem Büfett und dem anschließenden Tanz bereits mächtig in Partystimmung waren, zählten lauthals mit. »Fünf ...vier ... drei... zwei ... EINS!«
    Ein Donnerschlag erschütterte den Festsaal. Durch die Scheiben drang orangerotes Licht. Die Menschen schrien auf vor Überraschung. Sekunden atemloser Stille folgten, dann begannen alle zu jubeln und zu applaudieren. Champagner spritzte. Viele riefen »Hurra!« oder »Heißa Walpurgisnacht!«. Die Menschen fielen sich in die Arme und küssten einander, ehe sie damit begannen, sich nach draußen zu drängen. Ein Feuerwerk, das war etwas, womit niemand gerechnet hatte. Am wenigsten Bertram Renz.
    Mit offenem Mund, das Mikrofon immer noch über die Menge haltend, blickte er hinaus zu dem rot-gelben Licht. Das war nun schon die zweite Überraschung an diesem Abend. Erst der spektakuläre Schwärm von Sternschnuppen und jetzt das. Er benötigte einige Sekunden, um sich von dem Schreck zu erholen. Dann warf er das Mikrofon in die Ecke und stürmte wutentbrannt an den Menschen vorbei zum Ausgang. Das war unerhört. Welcher Idiot zündete denn da draußen Feuerwerkskörper an? Wie es aussah, schien es sich nicht um ein paar harmlose Raketen zu handeln, sondern um eine gewaltige Batterie von Kaskaden und Schwärmern. Die Brockenspitze war Brandschutzzone. Obwohl hier oben an dreihundert Tagen im Jahr Nebel und Wolken regierten, war das empfindliche Ökosystem trocken wie Zunder. Ein Funke, angefacht von den heftigen Winden, konnte unglaubliche Schäden anrichten. Wer immer für dieses überraschende Feuerwerk verantwortlich war, er würde teuer dafür bezahlen müssen. »Darf ich mal vorbei? Entschuldigung!« Die Menge hatte sich vor der Tür zu einem unentwirrbaren Knäuel verdichtet. »Verzeihung! Lassen Sie mich bitte mal durch!« Der Hotelmanager zog sein Handy heraus und drückte den Rufknopf für den Sicherheitsdienst. Die Jungs hatten bei der Beseitigung der Esoterik-Freaks gute Arbeit geleistet. Wie es schien, würden sie heute Nacht noch einmal zu Werke gehen müssen. Sofort hörte er das vertraute Knacken in der Leitung. »Hier Renz ... was?« Die Stimme am anderen Ende war kaum zu verstehen. »Sprechen Sie lauter... ich ...ja, ich habe es auch gesehen. Wo

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