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Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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dem Staub und wankte vorwärts. Immer noch spürte sie die Wirkung des Wunderpilzes in sich.
    John war nur noch wenige Meter von ihr entfernt. Sie sah, wie er den Kopf schüttelte und Schleim in den Staub hustete. Seine Haut war stark gerötet. Kein Wunder, hatte er doch nur wenige Meter vom Opferstein entfernt gestanden. Er drehte seinen Kopf in ihre Richtung, und ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. In seinen Augen lag so viel Vertrauen, dass es Hannah einen Stich ins Herz versetzte. Wie konnte er sie nur immer noch lieben, nach allem, was sie ihm angetan hatte? Sie hob das Schwert, um seine Fesseln zu durchtrennen, als seine Augen sich vor Schrecken weiteten. »Vorsicht, Hannah!« Doch es war schon zu spät. Ein heftiger Schlag fegte sie von den Beinen. Das Schwert entglitt ihren Händen, als sie von einer unbarmherzigen Gewalt zu Boden gedrückt wurde. Einhundert Kilo durchtrainierte Muskulatur, scharfe Fingernägel und zottiges Fell pressten ihr die Luft aus dem Leib. Eine Wolke von faulig riechenden Pilzen hüllte sie ein. Sie wusste genau, was dieser Geruch bedeutete.
    Die Erinnerung an Karls geschundenen Körper blitzte in ihren Gedanken auf. Das gab ihr Kraft. Eine Kraft, wie sie sie noch nie zuvor gespürt hatte. Mit einer Woge unbändiger Energie bäumte sie sich auf. Ein Schrei kam über ihre Lippen. So heftig, dass der Angreifer für einen Moment lang verblüfft von ihr abließ. So viel Gegenwehr hatte er von seiner Beute wohl nicht erwartet. Die zum Schlag erhobene Pranke verharrte in der Luft. Hannah nutzte die Sekunde und rollte zur Seite. Als die Krallen niedersausten, verfehlten sie Hannah um eine knappe Armlänge. Der Wächter, sich seines Fehlers bewusst werdend, gab einen keuchenden Laut von sich. Mit einem bösartigen Fauchen drehte er sich um, stieß sich ab und hechtete auf sie zu. Hannah, immer noch auf dem Rücken liegend, sah den gewaltigen Leib auf sich zukommen. Der Aufprall war mörderisch. Arme und Beine fingen den Stoß ab. Ihre Sehnen dehnten sich zum Zerreißen, und ihre Muskeln zitterten vor Anspannung. Wie sie es schaffte, den Gegner auf Abstand zu halten, grenzte schon fast an ein Wunder. Mit beiden Händen hielt sie die mächtigen Arme gepackt, während ihre Beine sich in den Unterleib des Wesens stemmten. Was sie jedoch nicht verhindern konnte, war, dass der schreckliche Kopf nach vorne schoss. Speichel lief aus dem Maul, benetzte ihre Brust, während die zugespitzten Zähne, nur wenige Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt, zuschnappten wie eine Stahlfalle. Im Bruchteil einer Sekunde berechnete Hannah ihre Chancen. Ihre Arme und Beine würden diesem Angriff nicht mehr lange standhalten. Nur noch wenige Augenblicke, und das Gewicht des Angreifers würde sie erdrücken.
     
     
68
     
    Ida sah das Feuer, noch ehe sie das Ortsschild von Schierke passiert hatte. Gelbrot loderten die Flammen auf der gegenüberliegenden Seite des Tals. Mit viel zu hoher Geschwindigkeit fegte sie um die nächste Kurve und bemerkte dabei zu spät, dass eine Absperrung quer über die Fahrbahn gespannt worden war. Geistesgegenwärtig riss sie das Lenkrad herum und trat auf die Bremse. Der Wagen hinterließ einen breiten Streifen abgeriebenes Gummi auf der Straße, dann blieb er stehen. Ida stieß einen leisen Fluch aus. Ein junger Polizist eilte auf sie zu, im Gesicht eine Mischung aus Sorge und Tadel. »Sind Sie noch zu retten?«, rief er. »Haben Sie denn das Ortsschild nicht gesehen? Innerhalb geschlossener Ortschaften beträgt die Höchstgeschwindigkeit...«
    »Halten Sie den Mund«, unterbrach Ida ihn und wedelte mit ihrem Ausweis vor seiner Nase herum. Während der Mann das Dokument gewissenhaft studierte, erlaubte sie sich einen Rundblick. Von den angeforderten Löschfahrzeugen war keine Spur zu sehen. Wieso dauerte denn das so lange? »Lassen Sie mich durch«, sagte sie. »Ich muss zum Einsatzleiter.«
    Der Beamte zögerte. Ida konnte förmlich hören, wie die Gedanken durch seine Gehirnwindungen kullerten. Endlich schien er begriffen zu haben, dass es besser war, zu tun, was sie verlangte.
    »Kommissar Werner ist in der Zentrale, auf der anderen Seite des Ortes«, stieß er hervor. »Sie finden ihn in der Jugendherberge.«
    »Das weiß ich. Wie komme ich da am schnellsten hin.« »Nicht mit dem Auto. Die Hauptstraße ist gesperrt. Abgesehen von den Bühnen, ist dort alles voller Menschen.« »Ja, ist denn da noch nicht geräumt worden? Ich habe doch ausdrücklichen Befehl gegeben, die

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