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Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Lange Zeit hatte man ihm vorgeworfen, mit der Scheibe eine Fälschung in seinem Museum zu beherbergen oder diese vielleicht sogar persönlich in Auftrag gegeben zu haben. Zu unglaublich erschien vielen Kollegen der Fund. So hatte zum Beispiel ein Bronzezeitspezialist der Universität Regensburg behauptet, die Scheibe sei ein Produkt zweifelhaftester Herkunft - verziert mit Sternen wie Schrotschüsse und einem Sonnenschiff, das wie ein Pantoffeltierchen aussehe. Er hatte ferner behauptet, die Scheibe sei das Werk neuzeitlicher Fälscher, die das Objekt innerhalb von drei Wochen aus mehr als hundert Jahre altem Metall mit Hilfe von Säure, Zangen und Fräsen auf alt getrimmt hätten. Eine Behauptung, der schwer beizukommen war. Das Alter eines archäologischen Fundes galt erst dann als hundertprozentig gesichert, wenn sich an ihm organische Reste befanden, die sich mittels C-14-Radiokarbonmethode datieren ließen. Die Scheibe hingegen bestand durchweg aus Metall. Zudem ließ sie sich nicht in eine Reihe gleichartiger Werke einordnen. Erst ausgiebige Analysen am Oxidationsgrad der Bronze sowie die zeitliche Zuordnung der Beifunde hatten zu Klarheit geführt und die meisten Zweifler verstummen lassen. Heute gab es kaum noch jemanden, der die Scheibe nicht für echt hielt. Irgendetwas riet Hannah, den Brief noch eine Weile aufzubewahren. Sie konnte es selbst nicht recht erklären, aber sie spürte, dass vielleicht doch mehr an der Sache dran war, als sie zunächst dachte. Sie legte ihn in ihr Fach mit den privaten Mitteilungen. Dann stand sie auf und beschloss, ihrem Chef einen Besuch abzustatten.
    Es war Zeit, den Stier bei den Hörnern zu packen.
     
     
7
     
    Das Büro von Dr. Moritz Feldmann lag ein Stockwerk höher, am Ende des Gangs. Hinter einem gewaltigen Schreibtisch, auf dem bis an die Grenze der Belastbarkeit Bücher, Zeitschriften und sonstige Dokumente gestapelt waren, saß ein drahtiger älterer Mann, dessen graue, ruhelose Augen hinter einer edlen Brille mit halbrunden Gläsern hervorstachen. Seine Haare waren ebenfalls grau und kurzgeschoren, und sein modisch gestutzter Dreitagebart ließ die Konturen seines Gesichts unnatürlich hart hervortreten. Salopp in Jeans und ein weißes Hemd gekleidet, hätte man ihn durchaus für einen Mann aus der Werbebranche halten können, wäre da nicht diese straffe Haltung und die unnahbare Aura gewesen, die ihn wie der Geruch eines zu scharfen Aftershave umgab. Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er auf Hannahs Besuch gewar-tet hatte.
    »Treten Sie ein«, sagte Feldmann, ohne von seiner Arbeit aufzusehen. »Und schließen Sie bitte die Tür.« Hannah begann sich unwohl zu fühlen. Wieso nur hatte sie in Feldmanns Gegenwart immer das Gefühl, wieder eine Studentin zu sein?
    »Nehmen Sie Platz, und bedienen Sie sich mit Kaffee, wenn Sie mögen.«
    Hannah ging auf die andere Seite des Raumes, der mit Büchern geradezu überfrachtet war. In den Regalen reihten sich Ordner neben Kunstbänden und verstaubte Dissertationen neben Hochglanzbroschüren seltener Antiquitäten. Am Fenster, von dem aus man den Marktplatz überblicken konnte, stand eine Kaffeemaschine. Ein uraltes Gerät, das in dem neuen Büro wie ein Fremdkörper wirkte. Während sie sich eine Tasse Kaffee einschenkte, riskierte sie einen Blick über Feldmanns Schulter. Ihr war bisher noch nie aufgefallen, dass er mit der Hand schrieb. Noch dazu mit einem Füllfederhalter. Sehr ungewöhnlich. Ein Verdacht keimte in ihr auf. Sie trat näher, um sich die Handschrift anzusehen. Es war eine andere als auf dem anonymen Brief. Nicht so markant. Aber das wollte nichts heißen. Handschriften konnte man imitieren, wenn man über das nötige Talent verfügte.
    In diesem Moment drehte Dr. Feldmann sich um. Fragend blickte er sie an. Sie schrak zurück. »Bitte entschuldigen Sie, ich wollte nicht spionieren«, murmelte sie. Mit hochrotem Kopf begab sie sich an ihren Platz zurück. »Ich muss nur noch diesen Brief zu Ende schreiben«, sagte er. Ihn schien ihre Neugier nicht im Geringsten zu stören. »Ich bin gleich fertig. Ein Dankesschreiben an den Kulturdezernenten von Basel für seine aufopferungsvolle Arbeit während der Ausstellung. Für den Einsatz seiner Mitarbeiter, die Sicherheitsmaßnahmen sowie den Rücktransport der Leihgaben.« Er wedelte mit der Hand in der Luft herum. »Die üblichen Honneurs, Sie wissen schon.«
    Hannah tat so, als wüsste sie, und nahm einen Schluck Kaffee. Das alles schien mehr mit Politik zu

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