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Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Liebestränke als unterstützende Maßnahmen zum Einsatz kamen. Liebesdoping, wenn du so willst. Geblieben sind bis heute der Tanz in den Mai, der Maibaum und die Wahl der Maikönigin. Aber all das weißt du vermutlich schon.«
    Michael grinste. »Das meiste. Aber ich wollte dich nicht unterbrechen, du warst gerade so schön in Schwung. Eine Sache aber habe ich nie ganz verstanden: Woher rührt die Vorstellung, dass Hexen immer auf Besen reiten? Litten sie unter einem Putzfimmel oder was?«
    »Das hat etwas mit der alten Götterwelt zu tun«, erläuterte Hannah. »In den alten Sagen hatten Göttinnen immer ein Gefährt, auf dem sie reisten. Freya ein Wildschwein, Hyndla einen Wolf, die Walküren ritten auf schwarzen Rössern und die Hexen in unseren Breitengraden eben auf Besen.« »Bis die Christen kamen.«
    »Ja, allerdings.« Hannahs Blick verdüsterte sich. »Plötzlich wurde alles anders. Mit einem Mal gab es so was wie Zwangsmissionierungen. Die Anbetung der alten Götter wurde verboten. Von heute auf morgen war es nicht mehr gestattet, sich an den kultischen Plätzen zu treffen und die traditionellen Lieder zu singen. Die Hagszissen wurden zu Hexen umbenannt, denen ein frevelhaftes Bündnis mit dem Teufel angedichtet wurde. Ihr Wissen um Verhütung und Heilkunst wurde als Zauberei, Teufelswerk und Ketzerei hingestellt.« »Religiöser Fanatismus ist also kein Problem der Gegenwart.« »Nie gewesen.« Hannah stopfte die Hände in die Hosentaschen.
    Ihr war auf einmal kalt geworden. »Morde im Namen des Herrn hat es immer gegeben. Mit dem ersten Hexenprozess 1398 begann die Hexenverfolgung, die in Deutschland etwa zwanzigtausend, in ganz Europa sogar sechzigtausend Todesopfer forderte«, sagte sie fröstelnd. »Und ich zitiere nur die offiziellen Quellen. Inoffiziell wird von umgerechnet einer Million Toten geredet.« Hannah schüttelte sich, als sie an die Greuel dachte, die damals stattgefunden hatten. »Wusstest du, dass in Wernigerode an einem einzigen Tag achtzig Frauen verbrannt wurden? Achtzig. Man stelle sich das bloß mal vor. Es ist für uns heute unbegreiflich, was sich damals abgespielt hat. Menschen, denen wir täglich begegnet sind, die wir gut kannten und mit denen wir vielleicht sogar befreundet waren, standen plötzlich am Pranger, wurden aufs grausamste gefoltert und dann verbrannt. Ich glaube, wenn wir heute Zeugen eines solchen Verbrechens würden, wir kämen uns vor wie am Tag des Jüngsten Gerichts.« Sie wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
    »Wobei es ja heute in vielen Teilen der Welt auch nicht viel friedlicher zugeht«, sagte Michael. »Allein die Auswüchse des fundamentalistischen Islam. Attentate, Selbstverbrennungen, Mord, das ganze Programm. Unfassbar, wozu Menschen in der Lage sind.«
    »Wobei wir aufhören sollten, immer nur nach den anderen zu schielen und ihnen Vorwürfe zu machen«, sagte Hannah. »Wusstest du, dass es die heilige Inquisition immer noch gibt?«
    »Du machst Witze.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Glaubenskongregation ist der neue Ausdruck dafür, und Papst Benedikt der Sechzehnte war lange Jahre ihr Oberhaupt. Es ist leider eine Tatsache, dass die Welt auf dem besten Wege ist, sich wieder in große religiöse Lager zu teilen. Anstatt zusammenzuwachsen, werden die Gräben immer tiefer. Die Exorzismusschulen schießen wie Pilze aus dem Boden. Christliche Fundamentalisten stürmen die Universitäten und sorgen mit Begriffen wie Kreationismus und Intelligent Design für gehörigen Wirbel. Die Akademiker müssen mittlerweile spezielle Seminare besuchen, in denen sie lernen, sich gegen die aggressiv vorgetragenen Argumente zur Wehr zu setzen.« »Willst du mich hochnehmen?«
    »Das sind leider Fakten. Wusstest du, dass über die Hälfte aller Amerikaner nicht an die Evolution glauben? Unter republikanischen Wählerschichten sind es sogar zwei Drittel. Sie halten die Vorstellung, dass Affen und Menschen gemeinsame Vorfahren haben, für Blasphemie und verlangen, dass solche Dinge nicht mehr an Schulen gelehrt werden dürfen. Lies mal bei Gelegenheit darüber nach, es ist wirklich beängstigend.« Sie seufzte. »Aber eigentlich ist mein Thema nicht die Gegenwart, sondern die Geschichte.« Hannah spürte einen bitteren Geschmack im Mund. »Was die katholische Kirche in ihrer Vergangenheit alles für Greuel angerichtet hat, ist unvorstellbar. Die letzte amtlich verbriefte Hexenverbrennung in Deutschland fand Mitte des achtzehnten Jahrhunderts statt, beinahe

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