Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
Vom Netzwerk:
Arbeit verkrochen. Ich mag kein Experte in Sachen Liebe sein, aber ich denke, dass es noch Gefühle zwischen Ihnen beiden gibt.« »Ich liebe sie, wenn Sie das meinen.« Stromberg lächelte. »Das ist nicht, was ich gesagt habe.« »Aber ...«, John hob den Kopf. »Dann sind Sie der Meinung, Hannah empfindet auch noch etwas für mich?« »Sie versucht es zu verbergen. Vielleicht will sie es sich selbst nicht eingestehen, aber ja. Ich müsste mich sehr täuschen, wenn es nicht so wäre.«
    Johns Augen begannen zu leuchten. Die Worte seines Chefs hatten ihm wieder Mut gemacht. Er überlegte kurz, dann traf er eine Entscheidung. »Ich werde ihr nachreisen«, sagte er mit Bestimmtheit. »Ich glaube, sie begibt sich in größere Gefahr, als ihr bewusst ist. Ich muss ihr helfen.«
    Norman Stromberg legte ihm die Hand auf die Schulter. Kopfschüttelnd sagte er: »Ich weiß nicht, ob ich Sie beneiden oder bedauern soll, mein junger Freund. Was Sie da vorhaben, widerspricht jeglicher Vernunft. Ich kann Ihnen prophezeien, dass Sie sich dabei mehr als nur ein blaues Auge holen werden. Aber vielleicht tröstet es Sie ja, wenn ich Ihnen sage, dass ich Ihre Einstellung bewundere. Glauben Sie mir: Wäre ich ein paar Jahre jünger und so verliebt wie Sie, ich würde genauso handeln.«
     
     
35
     
    Ida Benrath fühlte sich immer noch etwas wackelig auf den Beinen. Sie konnte nur hoffen, dass der Kaffee und die Schokolade das Gefühl von Taubheit vertreiben würden. Sie ging ein paar Schritte auf und ab, machte Fußübungen und versuchte, das Blut wieder in Zirkulation zu bringen. Viel zu lange schon hatte sie mit ihren vier Kollegen in dem kleinen, sechs Quadratmeter großen Überwachungsraum im Keller des Museums gesessen und sich die Bilder der Überwachungskameras angesehen. Sie massierte ihre Stirn. Ihre Augen brannten. Ihr Kopf fühlte sich an wie vernagelt. Sie spürte, dass mehr nötig war als nur Kaffee und Schokolade, um wieder in die Spur zu kommen.
    Sie stellte ihre Tasse ab und klopfte ihrem Kollegen Pechstein auf die Schulter. »Leute, ich brauche mal ein paar Minuten frische Luft. Wenn ihr mich sucht, ich bin auf dem Parkplatz.« Mit großen Schritten eilte sie die Stufen zum Erdgeschoss hinauf, öffnete die Tür und trat hinaus in die Kälte. Der Himmel war an diesem Sonntagnachmittag ein stumpfes Grau, aus dem unablässig weiße Flocken fielen. Bei jedem Schritt knirschte es unter ihren Schuhen.
    Sie bückte sich, nahm eine Handvoll Schnee, verteilte ihn auf ihrer Hand und rieb sich etwas davon aufs Gesicht. Die Kälte tat ihr gut. Sie half, den Kopf wieder klarzubekommen und die bösen Geister zu vertreiben.
    Obwohl sie die Videobänder wieder und wieder hatte durchlaufen lassen, war sie immer noch unfähig, zu begreifen, was sie da eigentlich gesehen hatte. Es war, als würde ihr Verstand sich weigern, das Gesehene zu verarbeiten. Der Inhalt der Videos widersprach allem, was sie bisher gelernt hatte - allem, woran sie geglaubt hatte.
    Ihren Kollegen war es ähnlich ergangen. Es gab niemanden unter ihnen, den die Aufnahmen nicht in einen Zustand tiefer Besorgnis versetzt hatten. Angefangen vom Verhaltenspsychologen bis hinunter zum einfachen Streifenpolizisten. Literweise Kaffee hatten sie getrunken und dabei mehrere Schachteln Zigaretten geleert. Nicht auszudenken, wäre Alkohol am Arbeitsplatz gestattet gewesen. Ida, die sich normalerweise nichts aus Hochprozentigem machte, hätte in diesen Stunden ihre Großmutter für einen Doppelkorn verpfändet. Dabei waren die Aufnahmen von ihrer Art her nicht mal besonders aufregend. Was genau hatte sie eigentlich so schockiert? Aufgenommen aus einer erhöhten Deckenposition, ohne Schnitte, ohne dramatische Musikunterlegung, waren die Bilder körnig, unscharf und taghell ausgeleuchtet. Der Grund für das Grauen war, dass sie wusste, dass alles echt war. Es war die Realität. Ungeschönt und in voller Länge. So nüchtern und klar, als würde man sich das Video einer Überwachungskamera auf einem Parkplatz ansehen. Genauso hatte es sich vor etwa zwölf Stunden abgespielt. Zwei wolfartige Kreaturen waren in Begleitung eines seltsam gekleideten Mannes in den Laborbereich des Museums eingedrungen, hatten einen Mitarbeiter angefallen, ihn überwältigt und versucht, ihn zum Öffnen des Hochsicherheitsbereichs zu zwingen. Als das nicht gelang, war der Mann misshandelt und verschleppt worden. Punkt. Auf dem Papier las sich das wie eine schlechte Gruselgeschichte. Doch den

Weitere Kostenlose Bücher