Necromancer - The Death of the Necromancer
für Ronsardes Vernehmung war inzwischen verstrichen, und Nicholas konnte erkennen, dass der Justizpalast noch nicht geöffnet war - auch nicht für Leute mit einem legitimen Anliegen. Das hielt er für einen Fehler. Sie hätten so früh wie möglich anfangen und jeden hineinlassen sollen, der noch einen Platz auf der Galerie finden konnte. Dann hätten die meisten anderen Gaffer keinen Grund mehr zum Bleiben gehabt und sich wieder ihren eigenen Angelegenheiten zugewandt. Die Verzögerung der Anhörung hatte die Atmosphäre gespannter Erwartung nur noch weiter aufgeheizt.
Der Himmel bedeckte sich allmählich mit Wolken, doch die morgendliche Brise schien völlig abgeflaut. Auf dem Platz wurde es warm und stickig, da sich so viele Leute auf engem Raum zusammendrängten. Auch das trug nicht unbedingt zu einer freundlichen Stimmung bei. Einen besseren Tag hätte er sich dafür gar nicht aussuchen können, wer er auch sein mag. Sollte ich je einen Aufruhr auslösen wollen, muss ich unbedingt auf die Wetterbedingungen achten. Als er den Blick vom Gerichtsgebäude abwandte, sah er endlich Cusard und Lamane, die sich einen Weg durch das Gewimmel
bahnten, um zu ihnen zu gelangen. Plötzlich stieß Reynard einen Fluch aus, und Nicholas schaute wieder nach vorn.
Zuerst erkannte er nur eine Gruppe Konstabler auf der Treppe der Präfektur. Dann erschrak er. In ihrer Mitte stand Ronsarde. Unten auf den Stufen, und nicht oben im Übergang, wo Kriminelle außerhalb der Reichweite eines aufgebrachten Pöbels hinüber zum Gericht gebracht werden konnten.
»Da ist er!«, brüllte jemand, und die Menge drängte nach vorn.
Auch Nicholas stürzte los. Mit Schultern und Ellbogen stieß er Männer beiseite, und wenn sie nicht ausweichen wollten, benutzte er den Spazierstock. Er und Reynard hatten Ronsarde schon oft gesehen und ihn daher sofort erkannt. Dass ihn auch die Unruhestifter, die sich ganz nach vorn zu den Gebäuden durchgekämpft hatten, gleich bemerkt hatten, obwohl ihnen sein Bild eigentlich nur als undeutliche Bleistiftzeichnung in den Schundblättern begegnet sein konnte, bestätigte Nicholas’ schlimmste Befürchtungen. Der Drahtzieher von Ronsardes Verhaftung war noch immer am Werk und hatte nicht die Absicht, den Inspektor vor den Magistrat gelangen zu lassen.
Auf den Stufen wimmelte es von raufenden, rempelnden Menschen. Er sah, wie ein Konstabler zu Boden gezerrt wurde, und auch die anderen verschwanden bereits unter der Masse herandrängender Leiber. Als Nicholas kurz stoppte, um sich zu orientieren, packte ihn ein Mann in zerlumpter Arbeitskleidung am Kragen und riss ihn beinah von den Füßen. Er rammte dem Kerl den Knauf seines Spazierstocks in die Magengrube, und zog ihn ihm über den Schädel, als sein
Gegner losließ und sich zusammenkrümmte. Jemand stieß ihn von hinten an. Nicholas duckte sich, doch dann merkte er, dass es Reynard war.
Aus der Präfektur strömten weitere Konstabler herbei und warfen sich in das dichte Gewühl kämpfender Gestalten. Alle schienen irgendwas zu rufen und zu schreien. Plötzlich spürte Nicholas, dass um ihn herum etwas Raum entstand. Ein Blick nach hinten zeigte ihm, dass Reynard die Klinge seines Stockdegens gezogen hatte.
Das beweist, dass die Hälfte von diesen Leuten bezahlte Krawallmacher sind. Echte Anarchisten aus Vienne würden sich ohne Zögern auf einen Degen stürzen. Nicholas hatte schon genügend spontane Unruhen in Riverside erlebt, um den Unterschied zu erkennen. Es gelang ihm, sich noch zwei Stufen hinaufzuboxen, um einen Überblick zu gewinnen. Reynard blieb dicht hinter ihm. Von Ronsarde war nichts zu entdecken. Der nächste Ausgang des Platzes war verstopft von Leuten, die vor den Kämpfen flohen - Neugierige, die Reißaus nahmen, ehe die Krone mit einem berittenen Trupp für Ordnung sorgte.
Auch Crack schaffte es schließlich durch das Getümmel zu ihnen. »Siehst du ihn irgendwo?« Nicholas musste schreien, um sich bei dem Lärm Gehör zu verschaffen.
Crack schüttelte den Kopf. »Vielleicht haben sie ihn reingebracht.«
Vielleicht … Nein, das ist alles ganz genau geplant. Die haben bestimmt nicht zugelassen, dass ihn die Konstabler retten … Frustriert schaute sich Nicholas um. »Wir müssen näher ran.«
»Da!«, rief Reynard plötzlich.
Nicholas fuhr herum. Reynard hatte ihnen den Rücken
freigehalten und auf den Platz hinausgeblickt. Daher war ihm in dem wogenden Geschiebe das Knäuel von Männern aufgefallen, in dessen Mitte sich Ronsarde
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