Necromancer - The Death of the Necromancer
Séance zu beschaffen. Er hätte viel dafür gegeben, jetzt aufspringen und den Tisch untersuchen zu können. »Das ist kein Trick«, erklärte Reynard jetzt. »Der Doktor berührt den Tisch überhaupt nicht.« Er scharrte mit der Stiefelsohle über den Boden. »Und auf den Pflastersteinen liegen Splitter.«
»Dann ist es eben Hexerei.« Alegretto lächelte. »So was amüsiert doch nicht mal den Jahrmarktpöbel, Doktor. Aber ich kann verstehen, dass Sie lieber auf diese Art Ihr Brot verdienen, statt ein Dasein als Heckenhexer in Philosopher’s Cross zu fristen.«
Nun flackerten gleichzeitig alle Lampen, als hätte sich kurz eine Hand auf sie herabgesenkt. Ohne seine Pose tiefer Versunkenheit aufzugeben, antwortete Octave: »Glauben Sie, was Sie wollen. Ich bin der Schlüssel, der alle Türen zwischen dem Diesseits und dem Jenseits aufschließt.«
»Nekromantie«, ließ sich Madame Algretto mit klarer Stimme vernehmen, »wird mit dem Tod bestraft - sehr zu Recht, meiner Meinung nach.« Ihre Hände schwebten über dem immer noch rotierenden Tisch, ohne ihn zu berühren. Dass sie das Ganze allmählich als unerfreulich empfand, war deutlich zu spüren.
»Aber hoffentlich erst nach unserer Sitzung«, entgegnete Amelind Danyell.
»Das hat nichts mit Nekromantie, Geisterbeschwörung
oder Grabräuberei zu tun.« Leichte Verärgerung schwang in Octaves Stimme mit. »Es ist eine Kommunion der höchsten Art.«
»Bis jetzt ist es nur ein rotierender Tisch.« Algrettos Einwand war nicht ganz unberechtigt, wie Nicholas zugeben musste. »Wir haben hier nichts außer …«
Mit erhobener Hand forderte ihn Octave zum Schweigen auf. Zwischen den Säulen des Tempeleingangs hinter ihm war ein Mann aufgetaucht. Nicholas hielt den Atem an. Unmittelbar vorher hatte er in diese Richtung gespäht und nichts gesehen.
Der Mann war jung und trug die Uniform eines Marineoffiziers. Nicholas musterte ihn genau, um sich möglichst viele Einzelheiten einzuprägen.
Die Gäste am Tisch, die mit dem Rücken zu der Erscheinung saßen, fuhren in ihren Stühlen herum. Alle schwiegen betreten. Selbst der Tisch hatte seine stockende Bewegung im Uhrzeigersinn beendet. Madame Everset richtete sich auf, als würde sie emporschweben. Octave wandte sich nicht um. Er hatte sein tranceartiges Gebaren fallen gelassen und beobachtete sein Publikum mit gespannter Aufmerksamkeit.
Eine Projektion aus einer Bildlampe kann es nicht sein . Die Augen der Gestalt bewegten sich. Sie waren blutunterlaufen wie durch Einwirkung von Salzwasser oder durch Schlafmangel. Langsam wanderte ihr Blick von einem Gesicht zum anderen. Vielleicht war es ein Trugbild; magische Illusionen konnten sich bewegen und sprechen. Arisilde war in der Lage, Trugbilder zu erschaffen, die man sogar anfassen konnte. Möglicherweise war das hier ein lebender Komplize, aber Nicholas konnte sich nicht vorstellen, wie
jemand an den Dienern auf der Terrasse vorbeigeschlüpft sein sollte, ohne von ihnen bemerkt zu werden.
Madame Everset versagte die Stimme, dann ächzte sie: »Justane …«
Oder wie jemand einen Komplizen gefunden haben soll, in dem Madame Everset ihren Bruder erkennt.
Nun flüsterte Octave: »Fragen Sie ihn, Madame. Und denken Sie an unsere Vereinbarung.«
Reynard fuhr zusammen. Er riss sich vom Anblick der Erscheinung los und starrte Octave an. Nicholas war also nicht der Einzige gewesen, der die verstohlenen Worte gehört hatte. Doch außer ihnen beiden hatte niemand am Tisch etwas mitbekommen.
Madame Everset nickte und schwankte, als stünde sie kurz vor einer Ohnmacht. »Justane, dein Schiff. Wo ist es gesunken?«
Die suchenden Augen des jungen Mannes wandten sich ihr zu. Sein Gesicht war nicht leichenblass, sondern braun und gerötet von der Sonne. Irgendwie fand Nicholas dieses Detail überzeugender als alles andere. Die Gestalt leckte sich über die Lippen. »Vor der Südküste von Parsien, in der Meerenge Kasha-triy.« Seine Stimme klang tief und heiser. »Aber Lise …«
Dann war er verschwunden. Kein allmähliches Verblassen, kein Auflösen in Nebel. Es geschah so schnell, als wäre eine Tür zwischen zwei Welten zugeschlagen. Madame Everset schrie: »Justane!«
In der unermesslichen Stille der Nacht war nur ein Geräusch zu vernehmen: das Klacken von Stiefelabsätzen auf Stein.
Jäh fühlte sich Nicholas gepackt von einer unsichtbaren
Kraft, sein Herzschlag schien stillzustehen, der Atem gefror ihm in der Lunge. Es war fast wie bei dem Ghul, der ihn im Keller
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