Necroscope 8: BLUTFÜRSTEN (German Edition)
dachte Canker. Das Erinnerungsvermögen des Jungen hatte zwar Schaden gelitten, aber hin und wieder fiel ihm doch etwas aus jenen vergangenen Tagen, aus seiner Zeit als jugendlicher Szgany im Stamme Lardis Lidescis ein. Während der Hunde-Lord seinen Weg hinab in die Räudenstatt fortsetzte, kramte er in seinem Gedächtnis und rief sich in Erinnerung, was er außerdem noch in Zahars ungeschütztem Geist gesehen hatte:
Wie Nestors Flugrochen lautlos ein Stück weit draußen in der Savanne gelandet waren, wo ihnen auf einer Fläche von etwa zweihundert mal zweihundert Metern ein mit niedrigem Gras bewachsener Hügel ein problemloses Entkommen sicherte. Eine Handvoll Männer war ausgeschwärmt, um die dunkle Ansammlung von Hütten unter den Bäumen zu umzingeln, während Nestor seine Kampfkreaturen, die wie Gewitterwolken am sternenbeglänzten Himmel kreisten und es kaum noch erwarten konnten, heranführte. Er befahl den Kriegern, ohne Rücksicht auf Verluste durch das Laubdach zu brechen! Gewaltige Äste splitterten, und gleich im ersten Anlauf wurde eine ganze Anzahl der scheinbar gut versteckten Häuschen dem Erdboden gleich gemacht.
Aus den zerstörten Hütten erschollen heisere Schreie, die Tiere in ihren Pferchen brüllten ängstlich, aus den Hühnerställen drang lautes Gegacker und Flügelschlagen ... und über all dem der Lärm der Krieger, die sich in ihrem todbringenden Werk nicht aufhalten ließen! Doch dann geschah etwas Erstaunliches, vollkommen Überraschendes: Der Nekromant sandte Kriegern wie Knechten gleichermaßen den strikten telepathischen Befehl, auf keinen Fall von dem Fleisch zu essen, ganz gleich ob Mensch oder Tier!
Doch wozu dann dies alles? Rache? Aber wofür? Und überhaupt, bestand die süßeste Rache denn nicht darin, den Gegner auch noch aufzufressen? Doch nein, der Nekromant Lord Nestor Leichenscheu hatte anderes im Sinn und gab seinen Männern entsprechende Befehle. Auf sein Geheiß hielten die Ungeheuer in ihrem Wüten inne, ließen von ihrem Zerstörungswerk ab und strebten dem offenen Grasland zu, und seine Männer, die sich rings um die niedrige Einfriedung, die die verborgene Ansiedlung umschloss, verteilt hatten, ... setzten den ganzen Ort in Brand!
Als die Flammen aufloderten und die überlebenden Dorfbewohner ins Dunkel der Wälder zu entkommen suchten, ließ Nestor sie, anstatt Gefangene zu machen oder Knechte zu rekrutieren, von seinen Leuten zurück ins Feuer werfen!
Doch hier schien die Erinnerung irgendwie merkwürdig verzerrt – zumindest dasjenige, woran Zahar sich erinnerte, denn Canker ließ ja lediglich das, was er im Geist des Leutnants erspäht hatte, vor seinem geistigen Auge Revue passieren.
Jene entsetzten Gestalten, die vor den Flammen flohen – einige hinkten, manche krabbelten sogar auf allen vieren –, nur um wieder hineingeworfen zu werden. Nicht einer von ihnen schien körperlich gesund zu sein. Keiner setzte sich zur Wehr. Sie waren allesamt schwache, verkrüppelte, gebrochene Menschen. Hatten die Krieger ihnen diese Verletzungen zugefügt? Oder waren sie von den Flammen versehrt? Hatten ihnen womöglich umherfliegende Trümmer die Knochen gebrochen, als ihre Häuser über ihnen zusammenstürzten? Oder was war da los?
Ihre Silhouetten zeichneten sich vor den zuckenden Flammen ab: grotesk, missgestalt, verzerrt – unvollständig? Zunächst hatte es so ausgesehen, als hingen ihre Kleider in Fetzen, doch ... dies war keine verzerrte Erinnerung! Denn plötzlich war Zahar gedämmert, dass nicht den Kleidern, sondern den Menschen selbst etwas fehlte!!!
Und nun dämmerte es auch dem Hunde-Lord. Mit einem Mal überkam ihn die furchtbare Erkenntnis, die ihm den Verstand zu rauben drohte:
Nestor hatte eine Aussätzigen-Kolonie niedergebrannt!
Danach war Canker, gerade als er die Räudenstatt betrat, mit einem Schlag alles klar und er begriff, was Nestor so sehr bedrückte. Am ganzen Körper zitternd und bebend ging er in seine Gemächer und rief nach einem seiner Welpen, einem Leutnant, dem er vertraute.
»Die Innentreppe hinauf in die Saugspitze«, befahl er seinem Gefolgsmann winselnd oder doch zumindest im Flüsterton, »lass sie zumauern! Noch heute Nacht, jetzt, sofort! Niemand soll je wieder auf diesem Weg hierher gelangen! Nichts, weder Luft noch Licht!«
»Jawohl, mein Lord«, erwiderte der Leutnant mit großen Augen. »Ist das alles?«
Canker nickte geistesabwesend, doch dann schüttelte er sich. »Nein, da wäre noch etwas. Wratha die
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