Necroscope 8: BLUTFÜRSTEN (German Edition)
für wie lange? Die Munition würde nicht ewig vorhalten. Er hoffte darauf, dass die beiden einander bekämpfenden Fraktionen der Wamphyri ihm einen Großteil seiner Arbeit abnahmen. Wenn es wirklich hart auf hart kam, hatten sie einander gegenseitig hoffentlich schon genügend geschwächt.
Mehr verlangte er ja gar nicht.
Zugleich hatte Nathan jedoch bereits so etwas wie einen Plan, der das Ganze etwas beschleunigen würde, auch wenn er ziemlich gefährlich war. Vor gut dreieinhalb Jahren hatte er Lardis auf dessen damals noch alljährlicher Pilgerreise zum letzten Felsenturm begleitet. Dabei hatte er nicht nur die Karenhöhe (die jetzige Wrathhöhe) gesehen, sondern auch die eingestürzten, brandgeschwärzten Überreste all der anderen Felsenhorste der alten Wamphyri. Auf den ersten Blick konnte man erkennen, was sie zum Einsturz gebracht hatte – Explosionen in den Pferchen der Gasbestien und in den Methankammern.
Und natürlich war Lardis nicht müde geworden, immer wieder zu erzählen, wie es dem Necroscopen Harry Keogh irgendwie gelungen war, die Strahlen der Sonne mit voller Gewalt durch die Fenster, Landebuchten, durch jeden Spalt und jede Ritze nacheinander in die einzelnen Felsentürme zu lenken, bis deren untere Geschosse hochgingen wie eine Bombe.
Nun, Nathan hatte zwar nicht unbedingt Einfluss auf die Sonne, aber er wusste, dass es mehr als eine Möglichkeit gab, eine Explosion herbeizuführen. Dimi Petrescus Sprengpulver – eigentlich ja Schießpulver, allerdings von geringerer Qualität – mochte zwar nicht ganz die Gewalt haben, die man erwarten durfte, aber für eine Stichflamme und einen lauten Knall würde es schon reichen. Oder ein paar Splittergranaten, die würden es auch tun!
Sie mussten Wratha ihre Zuflucht nehmen. Im günstigsten Fall wurde sie dabei getötet, und falls nicht, musste sie sich Vormulac und dessen Streitmacht aus Turgosheim zum Kampf stellen. Das sollte er sich noch einmal durch den Kopf gehen lassen ...
Nathan dachte nach, und allmählich gewannen seine Gedanken an Kontur. Unterdessen musterte er die scheinbar endlose Reihe der Lidescis, die in kleinen Gruppen und Grüppchen an ihm vorüberzogen, einige auf Karren, die meisten aber mit Zugschlitten, die sie hinter sich her schleppten; Familienverbände, Paare und Alleinstehende, Frauen, die sich mit gedämpfter Stimme unterhielten, weit ausschreitende Männer und Kinder, die keinen Mucks von sich gaben. Alle waren sie wachsam und hielten die Augen offen in der zum Glück wolkenlosen Nacht, während sie im Schutz der Bäume, die sie vor etwaigen neugierigen Blicken von oben verbargen und nur den Glanz der Sterne durch ihr Laubdach sickern ließen, ihren uralten Pfad entlangmarschierten.
Sie führten ihre Tiere mit sich, Bergziegen, denen sie die Mäuler zugebunden hatten, und gelbäugige Wölfe – zwar keine grauen Brüder im eigentlichen Sinn, nichtsdestotrotz jedoch die besten Freunde der Traveller. Menschen wie Tiere waren mitsamt ihren Wachhunden gut verteilt, damit im Falle eines Angriffs jede Gruppe unabhängig von den anderen fliehen und Zuflucht in den Wäldern suchen konnte. Über einen Dreiviertelkilometer zog sich die Reihe dahin. Die meisten schwiegen und schirmten in der trügerischen Stille der Nacht selbst ihre Gedanken ab. Die Räder der Karren, die Stangen der Zugschlitten, Töpfe und Pfannen waren mit Lappen umwickelt. Einerseits waren die Szgany voller Angst, andererseits hingegen stark wie nie zuvor, denn Lardis Lidesci führte sie, und auf seine Art hing er ebenso zäh am Leben, wenn nicht zäher als die Wamphyri.
Ebendies war in diesem Augenblick vorn, am Anfang des Zuges, wo Anna Marie English sich zu Ben Trask gesellte, um Nathans frei gewordenen Platz einzunehmen, Thema eines Gesprächs ...
»Sie sind Meister im Überleben«, murmelte Anna Marie English vor sich hin. Sie marschierte mit Trask und David Chung etwas abseits von Lardis’ Gruppe. Wenige Minuten zuvor hatte Trask sich noch leise mit Lardis unterhalten und ihm eine Reihe von Fragen gestellt:
Warum brachen die Lidescis mitten in der Nacht auf? War dies denn nicht gefährlich?
Allerdings, aber immer noch besser, als darauf zu warten, dass Wratha ihre Kräfte erneut sammelte und einen Großangriff startete. Denn nun wusste sie ja, wo sich der Zufluchtsfelsen befand.
Wohin zogen sie eigentlich? Gab es in den Wäldern südlich von hier noch weitere geheime Schlupfwinkel?
Am Rand des Waldes, dort, wo der Baumbewuchs allmählich in
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