Necroscope 8: BLUTFÜRSTEN (German Edition)
das Grasland überging, das sich einige Meilen weit nach Süden erstreckte, bis die eigentliche Glutwüste begann, lag eine Aussätzigenkolonie. Nach Süden, das hieß so weit wie möglich von den Wamphyri entfernt und der Sonne entgegen. Zudem fürchteten die Vampir-Lords sich vor der Lepra, einer Krankheit, bei der all ihre Wandlungskunst versagte. Das war zwar längst keine Garantie dafür, dass sie sich auch von der Siedlung fernhalten würden, beileibe nicht; wahrscheinlich wusste Wratha noch nicht einmal, dass dieser Ort überhaupt existierte. Aber in der Vergangenheit war er bisher stets verschont geblieben, und sie hofften, dass dieses Glück auch weiterhin anhalten würde.
Was hatten sie dort vor?
Sie wollten nahe der Siedlung ihr Lager aufschlagen, behelfsmäßige Verteidigungsstellungen errichten und sich dahinter verschanzen. Bis Tagesanbruch waren es immer noch dreißig Stunden, wenn nicht länger. Sobald die Sonne aufging, würde Lardis alle zu einer Besprechung zusammenrufen. Dann konnten die Waffenübungen beginnen, und danach könnten Nathans erstaunliche Waffen verteilt und Munition ausgegeben werden. Aber da der Bursche ja selbst eine Waffe war, wollte Lardis zunächst einmal abwarten und sich anhören, was er vorhatte. Denn jeder, der ihn kannte, konnte ihm ohne Weiteres ansehen, dass er über irgendetwas nachgrübelte!
Gleichzeitig jedoch schien der Optimismus, den Lardis nach der Schlacht um den Zufluchtsfelsen an den Tag gelegt hatte, verflogen. Trotz des Vorteils, den ihnen die Waffen verschafften, die der Necroscope aus einer anderen Welt mitgebracht hatte, und trotz dessen neuer, erst vor Kurzem erworbenen Kräfte sah ihre Zukunft immer noch düster aus.
Denn mittlerweile hatte Lardis auch die schlechte Nachricht erfahren: Nathan hatte ihm mitgeteilt, dass Vormulac in der Tat mit einer gewaltigen Streitmacht aus Turgosheim eingetroffen war und der Blutkrieg bereits begonnen hatte. Nun stand ihnen wieder dasselbe bevor wie damals in den alten Zeiten: Wenn die miteinander Krieg führenden Vampire sich gegenseitig dezimierten, würden sie ihre gelichteten Reihen wieder auffüllen, indem sie Traveller rekrutierten. Und das bedeutete die rücksichtslose, willkürliche Vernichtung menschlichen Lebens! Oder wenn schon nicht dessen Vernichtung, dann doch zumindest eine grauenhafte Verwandlung, um es den Bedürfnissen der Wamphyri anzupassen ...
Mit einem Mal wirkte Lardis missmutig und entfernte sich ein paar Schritte von den anderen. Seine Männer schwiegen und ließen ihn in Ruhe. Trask trat ebenfalls etwas abseits zu Anna Marie English, die nun anstelle von Nathan neben ihm her marschierte und vor sich hinmurmelte: »Sie sind Meister im Überleben.«
Trask bedachte die Ökopathin mit einem Blick aus dem Augenwinkel, und prompt fiel ihm etwas Sonderbares auf. Er konnte zwar nicht exakt den Finger darauflegen, aber sie hatte etwas an sich, was vorher nicht da gewesen war. Die Nacht schien ihr zu bekommen; im Glanz der Sterne sah sie beinahe ... attraktiv aus. Ebendies und nichts anderes war es, was Trask so seltsam vorkam – ihr Schritt wirkte irgendwie beschwingter und sie schien voller Lebensfreude. Der Aufenthalt auf der Sonnseite schien ihr gut zu tun! Und es geschah auch keineswegs bewusst oder gar absichtlich, dass er so unfreundlich von ihr dachte, vielmehr war es die »Wahrheit«. Denn es lag nun einmal an ihrem Talent, dass sie eben nicht attraktiv war, sondern die Aura ihrer Umgebung widerspiegelte. Schließlich war sie eine Ökopathin, die Ökopathin, um genau zu sein. Ihr Wesen entsprach demjenigen ihrer Umwelt. Auf der Erde hatte sie jede neuerliche ökologische Katastrophe wie einen Hammerschlag gespürt, ja, es hatte sie sogar körperlich beeinträchtigt. Hier dagegen ...
»Wer ist ein Meister im Überleben?«, hakte Trask nach. »Die Lidescis?«
»Oh, die sowieso!«, erwiderte sie nickend. Er sah lediglich ihren Schattenriss. »Schließlich sind sie Menschen. Ja, wir sind Überlebenskünstler, unsere Art insgesamt. Aber ich meinte die Wamphyri. Eigentlich habe ich nur laut gedacht.«
»›Meister im Überleben‹«, sagte Trask. »Das klingt beinahe so, als würdest du sie bewundern?«
»Das ist dein Talent«, lächelte sie. »Du erkennst, dass das, was ich sage, wahr ist. Ich bewundere sie nämlich tatsächlich! Zumindest ihre Vitalität, ihre Lebenskraft und ihr Durchhaltevermögen!«
Trask warf einen Blick auf Lardis, der ein Stück weit entfernt war. »Gut, dass er
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