Necroscope 8: BLUTFÜRSTEN (German Edition)
präsentieren, damit sie schon einmal einen Eindruck bekam. Das wirklich Unheimliche dagegen würde er sich für den Schluss aufheben.
»Nun gut, machen wir es ein anderes Mal.« Um ein Haar hätte er vor Erleichterung aufgeseufzt, als er sich abrupt von Rogei abwandte.
»Aber du hast doch gesagt ...«
»Nein, lassen wir es! Das kann warten!«
»Nathan!« Sie stemmte die Hände in die Hüften.
Weißt du, sie hat ganz recht, dass sie sich ärgert, fiel Rogei, der seit Langem verstorbene Uralte der Thyre, ein. Und mir geht es ebenso! Beim letzten Mal bist du vor dem Leben weggelaufen, und jetzt vor der Wahrheit! Ist die Frau, mit der du verheiratet bist, denn so eine Mimose? Und du, bist du so ein Schwächling? Ich glaube doch nicht! Zeige es ihr, mein Sohn – oder lass mich es ihr zeigen!
»Wer sind diese Leute, die sich mit dir unterhalten?« Nun ließ Misha sich nicht mehr umstimmen.
Hilflos breitete Nathan die Arme aus. »Sie«, erklärte er, indem er den Blick durch die Höhle schweifen ließ, über die Nischen mit ihren Simsen. »Die ...«
Sie machte große Augen. »Diese ... toten Kreaturen hier?«
»Es sind Thyre«, sagte Nathan. »Keine Kreaturen, sondern Menschen! Ja, ich weiß, sie sehen anders aus als die Szgany, aber trotzdem sind sie Menschen. Und die Trogs von der Sternseite ebenfalls. Und dann ist da noch unser eigenes Volk, das heißt, unsere Toten.«
»Und du ... sprichst mit ihnen?«
»Ja! Zwing mich nicht dazu, es zu beweisen.«
Lass sie doch! , meinte Rogei. Du kannst ihr ruhig den Beweis liefern!
»Nathan, ich ...«
»Nun komm ...«, sagte der Necroscope, indem er ein Tor heraufbeschwor. »Lass uns mit den Wölfen der Wildnis reden – mit meinen Neffen! Wenn ich sie dir zeige, vielleicht glaubst du mir dann ...«
»Mit Wölfen? Deinen Neffen? Nathan, ich ...«
Er hatte sie wieder zurück in die Mitte der Höhle geführt und machte Anstalten, mit ihr ins Möbiuskontinuum zu treten. Doch als er dazu ansetzte ...
... ließ Rogeis Stimme ihn zögern. Leb wohl, Nathan! Es war die Art, wie Rogei dies sagte, die Stimme heiser vor schwer zu beschreibenden Emotionen, die Nathan noch einmal zurückblicken ließ. Misha folgte seinem Blick und ahnte eine flüchtige Bewegung viel eher, als dass sie sie wahrnahm. Spielten ihre Augen ihr im flackernden Kerzenschein einen Streich?
Rogei lag nach wie vor in seiner Nische. Aber ... er hatte den Kopf gedreht, um ihnen aus leeren Augenhöhlen nachzublicken, und hob die dürre Knochenhand zu einem letzten Abschiedsgruß!
Zum ersten Mal sah Nathan es mit eigenen Augen. Nun wusste er ohne jeden Zweifel, dass es stimmte. Und auch Misha ... begriff.
Als sie seufzend in Nathans Arme sank, sagte dieser zu Rogei: Ich weiß nicht, ob ich dir dankbar sein soll oder nicht!
Ich auch nicht! Ich habe lediglich getan, was ich für richtig hielt. Die skelettierte Hand fiel herab, sein Schädel sank, von der brüchigen Wirbelsäule gehalten, kraftlos zur Seite; er war nur noch ein totes Etwas.
»Sie wird es verkraften«, meinte Nathan. »Die Gebirgsluft wird ihre Lebensgeister wieder wecken. Und außerdem hast du recht: Sie musste es erfahren!«
War es ... ungehörig?
Nathan schüttelte den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass du dich in deinem ganzen Leben je unziemlich verhalten hast, Vater, und erst recht nicht im Tod!« Damit trug er Misha durch das bereitstehende Tor ...
... und trat auf dem Höhenzug über dem einstigen Siedeldorf wieder heraus. Doch als sie sich in seinen Armen zu regen begann, sandte er einen telepathischen Ruf aus: Blesse, wo bist du?
Näher als du glaubst, Onkel! Zwischen Siedeldorf und Zwiefurt! Gemeinsam mit deinem Neffen Grinser ruhe ich mich hier in den Hügeln aus, nur ein paar Meilen weit weg von dir, für dich also gar keine Entfernung!
Und weißt du auch, wo ich mich befinde?
In der Tat! Ja, ich kenne die ... Richtung! Meine Brüder und ich, wir wissen Bescheid über ... Richtungen.
Nathan verstand: Seine Neffen hatten den Orientierungssinn eines Hundes beziehungsweise Wolfes, allerdings um ein Vielfaches verstärkt, weil sie über den Herrn des Gartens in direkter Linie von dem Necroscopen Harry Keogh abstammten. Er hatte es schon früher an ihnen bemerkt, dass sie über das Gegenstück zu seinem Zahlenwirbel verfügten. Aber während er die metaphysischen Gleichungen beherrschte – die Mathematik von Zeit und Raum –, waren sie lediglich unschlagbar darin, wenn es darum ging, sich räumlich zurechtzufinden.
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