Necroscope 8: BLUTFÜRSTEN (German Edition)
ein Mythos oder eine Legende aus ihrer Kindheit ein; vielleicht war auch mehr dahinter, denn Lardis Lidesci hatte immer wieder davon angefangen. Andererseits jedoch steckte Lardis voller solcher Geschichten.
Er erzählte zum Beispiel ständig vom Herrn des Gartens über der Sternseite. Von einem Mann – einem Höllenländer –, der zum Wolf geworden war! Zum Werwolf! Und mehr als das, Wamphyri! Ein Geschöpf mit denselben Kräften, über die Nathan verfügte: ein Mentalist, der sich zugleich teleportieren konnte, ein Wolf ... zum Vampir geworden! Und diese Wölfe aus der Wildnis ...?
»Ihr Vater ist der Herr des Gartens!«, stieß sie atemlos hervor.
Nathan blickte sie an, wie sie an seinem Arm hing, und sah, was ihr durch den Kopf ging. Und sie wiederum lasen es in seinem Geist. Wie eine Frage stand es zwischen ihnen, allerdings wagte Nathan sie nicht auszusprechen. Doch Blesse gab ihm ohnehin bereits eine Antwort:
Wir sind keine Wamphyri. Mag sein, dass sich etwas von ihnen in uns befindet, wie in den meisten Szgany der Sonnseite. Aber das Wesentliche – das, was sie zu dem macht, was sie eigentlich sind – entbehren wir. Der Herr des Gartens, unser Vater, war zwar ein Wamphyri, aber er war nicht wie sie. Er war zum Teil ein Wolf und zum anderen Teil ein Mensch, hatte jedoch nichts von einem Vampir an sich, nicht nach seiner Verwandlung. Oder falls er doch ein Wamphyri war, ging nichts davon auf uns über. Wir wissen von unserer Mutter, dass er keine Vampire in die Welt setzen wollte, nur Wölfe ...
Deine Gefährtin hat Angst vor mir, sagte Grinser. Dabei wünsche ich mir doch nur, dass sie mich hinter dem Ohr kratzt, weil es dort so fürchterlich juckt!
Beinahe geistesabwesend streckte Nathan die Hand aus, um die Stelle hinter Grinsers Ohr zu kraulen, und Misha sah erstaunt zu. »Ein ungezähmter Wolf!«, flüsterte sie.
»Ja«, nickte Nathan, »aber er ist klüger als mancher Mensch – und ungewöhnlicher, als es dir jemals träumen würde!« Und während Misha ganz vorsichtig Grinsers Kopf zu streicheln begann, fuhr er, zu Blesse gewandt, fort: »Ich vermag nicht zu sagen, wie leid es mir um Stutz tut. Ich meine, ich weiß ja, dass er immer noch hier ist – aber er weilt eben trotzdem nicht unter uns.«
Wir verstehen, wie es in dir aussieht, entgegnete Blesse und wechselte rasch das Thema. Möchtest du etwas über die Wamphyri erfahren?
Deshalb war Nathan zwar nicht hergekommen, aber Informationen waren immer von Nutzen. »Was wisst ihr von ihnen?«
Sie haben Stellungen auf der Findlingsebene bezogen, von wo aus sie hinüber zum letzten Felsenturm spähen. Ihre Hauptstreitmacht befindet sich allerdings noch im Osten. Sie haben den Pass nämlich noch nicht überquert, jedenfalls nicht in nennenswerter Zahl, und die wenigen, die hinübergingen, kehrten wieder zurück. Wir glauben, dass sie in irgendwelchen Höhlen Unterschlupf suchen, bis morgen früh abwarten und sich bei Sonnauf dann entlang dem Gebirgskamm verteilen. Dann werden alle grauen Brüder in ernsthafte Schwierigkeiten geraten und es wird keinen sicheren Ort mehr für uns geben, es sei denn wir fliehen weit in den Westen oder hinab in die Wälder der Sonnseite. Aber die Wanderer dürften genügend eigene Probleme haben.
»Wenn ihr in das Gebiet der Lidescis kommt, werden die Menschen euch nichts antun. Keiner wird Jagd auf euch machen, das verspreche ich euch!«
Das wissen wir, Onkel ...
Mit einem Mal wurde das Rudel unruhig, in die grauen Brüder und Schwestern kam Bewegung. Blesse und Grinser erhoben sich, wenn auch zögernd. Es wird Zeit, dass wir uns wieder auf den Weg machen, erklärte Grinser. Nun müssen wir auf die Jagd gehen, um nicht zu hungern.
Nathan nickte grimmig. »Ich auch«, sagte er, fügte im Geist jedoch, sodass nur die Wölfe es hörten, hinzu: Ich jage allerdings nur, um zu töten!
Sie begriffen. Na, dann gute Jagd!, fletschte Blesse und wandte sich ab.
Sie verschmolzen mit den Schatten und verschwanden innerhalb eines Lidschlags zwischen den Felsen und Spalten. Ein paar wandten noch einmal den Kopf, dreieckige Augenpaare funkelten in der Finsternis, dann waren auch sie verschwunden. Es war, als wären sie niemals da gewesen.
Von weit her (zumindest hatte es diesen Anschein) erscholl eine Totenstimme: Noch etwas, Onkel! Es war Stutz. Die Wamphyri aus dem letzten Felsenhorst hatten tributpflichtige Szgany in den Wäldern der Sonnseite östlich des Passes. Ich nehme an, das weißt du?
Ja, erwiderte Nathan.
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