Necroscope 8: BLUTFÜRSTEN (German Edition)
jede Menge Wissen in mich aufgesogen, und manche Dinge haben sich mir eingeprägt. Die Sache ist die: Ich hatte nie denselben instinktiven Zugang zu diesen Dingen wie mein Vater. Das meiste, was ich weiß, stammt von dem, was ich auf der Erde oder von den Toten lernte ... oder von dem, was Harrys Pfeil mir vermittelte. In eurer Welt hatte ich zwar genügend Zeit, aber nicht das mathematische Grundwissen, alles zu begreifen. Nun verfüge ich über die mathematischen Kenntnisse, allerdings bleibt mir keine Zeit mehr. Aber, wie gesagt ... ich glaube, manches verstehe ich jetzt.«
»Lass hören!«, sagte Goodly.
»Das Sternseitentor – ich meine das ursprüngliche Tor unten am Grund des Kraters – war ein schwarzes Loch, mit dem irgendetwas schiefging. Als es auf diese Erde stürzte, richtete es riesige Verwüstungen an, und als es sich von einem schwarzen zu einem grauen Loch wandelte, veränderte sich auch seine Anziehungskraft. Die Kraft, die von ihm ausgeht, macht sich störend bemerkbar, wenn ich versuche, in seiner Nähe ein Möbiustor heraufzubeschwören. Seine Anziehungskraft und die des Planeten stoßen einander ab, und doch hängen sie irgendwie zusammen wie zwei Kugeln an den entgegengesetzten Seiten einer Bola, die immer noch durch eine Leine miteinander verbunden sind. Es stört die Schwerkraft des Planeten, deshalb ist er aus der Bahn geraten. Beim E-Dezernat zeigte mir jemand, wie man, was er eine mexikanische Springbohne nannte, herstellt: Man formt aus einem Stück Alufolie eine Röhre, tut ein kleines Kugellager hinein und verschließt die Enden. Wenn man die Röhre dann der Länge nach hin und her rollt, eiert sie nur herum, mal schneller, mal langsamer, weil der Schwerpunkt sich ständig verlagert. Das ist keine exakte – wie sagt man: Analogie? –, weil die beiden einander entgegengesetzten Gravitationszentren Starsides feststehen. Mit anderen Worten: Die Leine zwischen den beiden Kugeln der Bola ist überhaupt keine Leine, sondern eine unsichtbare unzerbrechliche Eisenstange, die niemals nachgibt. Deshalb ist alles aus dem Gleichgewicht, weil die Anpassung fehlt!«
Goodly nickte. Er begriff, wenigstens zum Teil. »Also kurz gesagt: Tagsüber ...«
»... bewegt sich diese Welt langsamer«, führte Nathan den Satz an seiner Stelle zu Ende, »darum sind die Tage länger. Deshalb erscheint einem die Bahn der Sterne so merkwürdig, und das ist auch der Grund, weshalb der Mond mal hier, mal da zu sehen ist. Genau wie unser Kugellager in der Alufolie ist er gefangen in einer komplexen Schwerkr...«
Er unterbrach sich, als David Chung mit einem Mal aufsprang und »Oh- oh! « sagte. Grinser tat es ihm gleich, und auch Nathan und Goodly machten, dass sie auf die Beine kamen. »Er ist wieder zurück, Nathan«, fügte Chung hinzu, »und seine Gedanken sind auf dich gerichtet!« Nathan sandte eine telepathische Sonde aus – und hatte auf Anhieb Kontakt. Er erkannte sofort, wen er vor sich hatte, und wusste auch, wo sich sein Gegenüber befand. Hörbar die Luft einziehend, langte er nach einer Maschinenpistole, die an ihrem Riemen am Ast eines umgestürzten Baumes hing. Doch Goodly hielt ihn zurück. »Nein! Du wirst das hier brauchen!« Damit deutete er auf den geladenen Raketenwerfer, der in eine geölte Haut eingeschlagen war. Der Hellseher zitterte wie Espenlaub. Seine Augen waren weit aufgerissen, sein Blick voller Panik.
Mittlerweile waren auch Zek und Trask wach geworden. Verschlafen murmelte Trask: »Eh? Was ...?« Doch Nathan hatte keine Zeit für lange Erklärungen. Sein Bruder Nestor befand sich an Nana Kiklus Grab. Und Nestor war ein Nekromant!
Ein letztes Mal bäumte Nestors geschwächter, leprainfizierter Egel sich auf und versuchte die Oberhand zu gewinnen, indem er Nana Kiklus Worte als Unwahrheit darstellte. Als Nana an demjenigen Punkt ihrer Geschichte anlangte, an dem offensichtlich wurde, dass Misha Zanesti von Anfang an Nathan und niemals Nestor zugetan war, schien auf einmal die gesamte Grundlage von dessen übler Wamphyri-Natur infrage gestellt; und wie ein kleines Kind, das eine Verfehlung beichtet, musste er sich eingestehen, dass er alles falsch gemacht hatte. Mit dem Unterschied allerdings, dass in seinem Fall die Verfehlung ungeheuerlich war – sein ganzes Leben hatte er auf eine Lüge gegründet!
Doch Vampire sind hartnäckig. Er musste Nestor dazu bringen, an seinen Überzeugungen festzuhalten, denn all seine Macht hing davon ab. Außerdem wachen Vampire eifersüchtig
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