Necroscope 8: BLUTFÜRSTEN (German Edition)
unheimlichen Ausstrahlung, die von diesem Mondmann ausging.
Ganz eindeutig stammte er vom Mond. Wo sonst, wenn nicht in jener hoch oben am Himmel dahinjagenden Welt, sollte Siggi ihn kennen und fürchten gelernt haben? Und einmal völlig abgesehen von Cankers diesbezüglicher »Logik« waren da immer noch das Aussehen des Mannes, seine Farben und sein ganzes Gebaren. Seine Ausstrahlung stand derjenigen Siggis in nichts nach, und das wenige, was von seiner Gesichtsbehaarung zu sehen war, war silbrig blond wie bei ihr; die schmalen, überheblich geschwungenen Augenbrauen hoben sich von den scharf geschnittenen Furchen seiner sonnengebräunten Stirn ab.
Dazu noch die ausgeprägte Hakennase (gebrochen, wie der Hunde-Lord annahm, wohl in einem Kampf; sie war auf diese Weise wieder zusammengewachsen, und Turkur hatte sie so beibehalten, wahrscheinlich als Trophäe. Er war allerdings kein Wamphyri und dürfte darum eigentlich kaum einen Einfluss darauf haben. Dennoch strahlte er eine derartige Macht aus, dass Canker nicht umhin konnte, ihn als solchen zu betrachten, als einem Lord ebenbürtig), die zwar keinerlei Windungen aufwies, ihm aber trotzdem das Aussehen eines Kriegsherrn verlieh. Aye, und mit den vollen Lippen über dem kräftigen, kantigen Kinn und den beinahe unmerklich eingefallenen Wangen sah er gar nicht so übel aus, dieser hochmütige, überhebliche Priesterkönig vom Mond.
Ein kriegerischer Priesterkönig, hochmütig und überheblich ...
Überheblich.
Schon zum zweiten Mal war dem Herrn der Räudenstatt kein anderes Wort eingefallen, um diesen Turkur Tzonov zu beschreiben, und das war zweimal zu oft. Siggi fürchtete sich vor der Erinnerung an ihn. Oder fürchtete sie gar ihn selbst? Immerhin war es ihr gelungen, vom Mond auf die Sternseite hinabzusteigen. Konnte dieser Turkur ihr womöglich dahin folgen? Über welche Zauberkräfte mochte er wohl verfügen, dieser Priester vom Mond? Und wenn er eines Tages tatsächlich kommen sollte, um Siggi zurückzufordern, wie würde Canker seiner Herausforderung dann begegnen?
»Mit Leib und Seele ... mit meinem Blut ... und all meiner Kraft. Mit all meiner Macht als Wamphyri ... meinen traumdeuterischen Fähigkeiten ... und meiner Kunst der Gestaltwandlung. Mit allem, was ich bin und besitze! Weder Mensch noch Monstrum noch Mondwesen – sei es nun auf natürlichem Wege, aus irgendwelchen Bottichen oder in einer fremden Welt geboren – soll uns jemals trennen. Das schwöre ich, Canker Canisohn, bei meiner Macht, meinem Mut und dem Blut, das durch meine Adern rinnt!«
Er eilte an eins der nordwärts gelegenen Fenster und warf einen wütenden Blick zum über den Himmel jagenden Mond hinauf: »Soll er nur kommen, dieser Turkur! Hochmütig und überheblich? Canker wird ihn schon lehren, was Hochmut und Überheblichkeit ist! Ich werde seine Augen und sein Gesicht verspeisen und ihn auf einem riesigen schwarzen Flieger nach Hause schicken, blind und blutig, voller frischer Wunden und in der Nacht schreiend! «
Dies war sein Eid als Wamphyri ...
Siggi gewöhnte sich an ihn. Sie gewöhnte sich sogar an seine Wachkreaturen, die die labyrinthischen Gänge der Stätte durchstreiften, wenn ihr Geliebter sich zu Bett begeben hatte oder auf der Sonnseite jagte. Sie lebte sich sehr rasch ein, das heißt, sie akzeptierte ihr Schicksal, denn ihr Geist war so leer, dass sie ja nichts anderes kannte. Die Stätte mitsamt ihren Ungeheuern war ihr Zuhause und Canker ihr Beschützer. Mehr noch, er betete sie an. Und obwohl Siggi all ihr Wissen abhanden gekommen, tief in den Magmasse-Ebenen Perchorsks von diesem Wahnsinnigen, Turkur Tzonov, aus ihrem Geist geraubt worden war, war ihr doch ihre Sinnlichkeit geblieben, ihre überwältigende animalische Anziehungskraft, jene absolute Weiblichkeit, die ihr innerstes Wesen ausmachte.
Und sie dürstete geradezu danach. Ihr ganzes Leben lang, seit ihrem vierzehnten Lebensjahr, war Siggi nie ohne Mann gewesen. Sie konnte sich nun zwar nicht mehr an sie erinnern, aber das Wie hatte sie nicht vergessen. Das war ihr sehr wohl bekannt. Und es erging ihr nicht anders als den meisten sinnlichen Frauen. Wie stets fühlte sie sich zu einem starken Mann hingezogen. In der Räudenstatt gab es nur einen solchen Mann, nur eine schiere Quelle ungeheurer Lebenskraft, und die hieß Canker Canisohn. Was seine »Welpen« anging, seine Blutsöhne, Leutnante und Knechte – oh, sie waren Männer, gewiss, trotz der tierischen Veranlagung ihres Gebieters –,
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