Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
Gewicht dieses Ortes lastete beinahe greifbar auf ihren Schultern.
B. J. war zwar keine Mentalistin (lediglich aufgrund der beängstigenden Macht ihres Gebieters vermochte sie Seine Gedanken zu empfangen, ganz zu schweigen von denjenigen Seiner Kreatur!), doch wie stets an diesem Ort spürte sie, so nah an diesem Ding, die unheimliche Ausstrahlung jener Wesenheit, wie das ungeschickte Herumtasten eines Embryos, der darauf wartet, geboren zu werden. Und da es, obschon sie es hasste, ihre Pflicht war, bog sie von ihrem Pfad ab und trat, wenn auch nur kurz, in die Höhle, die das Wesen beherbergte, und machte so auf ihre Gegenwart »aufmerksam«.
Während ihre Augen sich an die tiefere Finsternis gewöhnten, wurde die Aura einer scheußlichen Präsenz, eines abwesenden, wilden Bewusstseins, immer deutlicher ... und ebenso die Gewissheit, dass auch sie erkannt worden war.
Ein zylindrischer Umriss schälte sich aus der Dunkelheit, von dem ein kaum wahrnehmbares rotes Glühen ausging, ähnlich der Glut eines fast erloschenen Feuers in einer dunklen Stube. Er bestand aus wie Fassdauben aufrecht stehenden, sechseckigen Granitblöcken, deren Fuß im Schutt begraben war und die von Felsbrocken gestützt wurden, damit sie nicht nach außen kippten. Diese Blöcke bildeten die Wände eines gewaltigen Behältnisses. Eines Bottichs. Doch einige davon waren gesprungen, zwischen anderen klafften kleine Risse oder sie standen schief, auseinandergezwungen von den geologischen Kräften, die auf den Berg einwirkten, sodass Tropfen des Harzes, das den Inhalt vor der Luft bewahrte und so konservierte, herausgesickert waren und auf dem Boden vor den Steinen ringsum zu Bernstein erstarrte Pfützen gebildet hatten.
B. J. näherte sich dem Bottich und streckte, zögernd zunächst, die Arme aus, doch dann legte sie die Hände auf zwei der Blöcke. Das Gestein fühlte sich kühl an. Eigentlich sollte dies genügen; eigentlich dürfte sie nichts von dem spüren, was es umschloss. Aber da war noch etwas anderes. Als ob man das Meer in einer Muschel rauschen hört, dachte B. J. Nur dass das Meer kein Bewusstsein hat und sein Rauschen etwas vollkommen Natürliches ist. Es interessiert sich nicht dafür, was um es herum vorgeht, und kann auch nicht darauf reagieren.
Doch dieses Wesen, die Kreatur ihres Gebieters, nahm seine Umwelt durchaus wahr. Und so wie B. J. auf dieses Wesen lauschte, lauschte dieses Wesen auch auf sie.
Ein dumpfes Pochen! (Wie aus weiter Ferne, ein leichtes Beben in ihren Fingerspitzen.)
Sie kannte dies und hatte es bereits zuvor vernommen und auch gespürt und wich nicht zurück. In fünf Minuten oder fünfzehn, vielleicht auch zwanzig, falls sie so lange hier stehen blieb, würde sie es wieder hören – den herabgesetzten, beinahe zum Erliegen gekommenen Herzschlag der Kreatur ... Das Ding wartete! Und es war am Leben, oh ja!
Es lebte, da drin, der zukünftige ... was, etwa Hüter ... ihres Gebieters? Etwas, das ihren Platz einnehmen sollte, wenn Er wiedererwacht war? Dieser Gedanke kam ihr nicht zum ersten Mal und sie wagte ihn kaum weiterzudenken. Eine wilde, von Ihm selbst geschaffene Kreatur, die über Ihn und Seinen Bau wachte ...
Poch!
Und diesmal zuckte Bonnie Jean völlig gedankenverloren zusammen und zog ihre Hände zurück. Aber durfte sie so etwas überhaupt denken? Hatte Er ihr nicht oft genug versichert, dass sie immer auf Ihn zählen könnte?
War es vernunftbegabt, fragte sie sich. So wie Er? War dieses ungeborene Wesen womöglich eifersüchtig auf sie?
Rasch trat sie neben den steinernen Bottich, erklomm eine Treppe aus übereinandergetürmten Felsplatten und blickte schließlich hinab in das zähe, trübe Wirbeln in dem nahezu undurchsichtigen, phosphoreszierenden Harz des Beckens. Mit Augen, die im Dunkel glommen wie bei einem wilden Tier, kniete sie sich an den Rand, um durch die verkrustete Oberfläche zu spähen und einen Blick auf das embryohafte Wesen zu erhaschen, das zusammengekrümmt in den tieferen, flüssigeren Schichten lag ...
... auf den gewaltigen, im Profil fast dreieckig wirkenden Schädel, die langgezogene Hundeschnauze, die dunkle Höhlung, in der ein Auge, so groß wie eine Untertasse, saß!
Bei ihrem letzten Besuch hatte das Herz langsamer geschlagen und das riesenhafte Augenlid war geschlossen gewesen. Doch nun ...
Poch!
Kein Zweifel, das Herz schlug schneller und das Lid war einen Spalt breit geöffnet! Darunter ahnte sie ein gelbliches Glühen, etwas heller als das
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