Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)

brauchte Nahrung. Seine Kreatur empfand ebenfalls Hunger ...
    Das war der Teil, den sie nicht mochte, der einzige Aspekt ihrer Aufgabe, der ihr wirklich zu schaffen machte. Die Bedürfnisse ihres Gebieters waren eine Sache, aber diejenigen Seiner Kreatur standen auf einem ganz anderen Blatt. Sie fütterte es ... nicht gerne, noch nicht einmal mit Tierblut. Sie war jedes Mal aufs Neue erstaunt, wie wenig doch ausreichte, ein so riesenhaftes Wesen zufriedenzustellen. Doch würde dies auch genügen, wenn es erst einmal erwacht war? Denn Er hatte doch sicher vor, es zum Leben zu erwecken, was für einen Zweck sollte es sonst haben? Doch Bonnie Jean hatte nie danach gefragt. Ihre Aufgabe bestand nicht darin, Fragen zu stellen, sondern Wache zu halten und ihm Meldung zu erstatten. Und zu gehorchen.
    Kaum hatte sie sich einen Schritt von dem Lichtschein entfernt, der durch den staubflirrenden, gezackten Spalt der Öffnung fiel, wurde es um sie herum totenstill – als habe jemand einen Schalter umgelegt. Nur die Geräusche der Höhle selbst waren noch zu hören: das Tropfen von Wasser an mehreren Stellen, die sie von hier aus nicht einsehen konnte; B. J.s eigener Atem, ihre eigenen verstohlenen Bewegungen. Es war ruhig hier, und doch auch wieder nicht ... Dies war keineswegs ein Widerspruch in sich. Das Tosen der Schlucht war nicht mehr zu vernehmen, es drang nicht bis hierher. Irgendetwas sperrte es aus.
    Es war nicht gänzlich dunkel. Trübes Licht sickerte aus diversen Durchbrüchen in der Decke herab. B. J. vermochte nicht zu sagen, wie hoch sie war oder bis wohin sie sich erstreckte. Es handelte sich um die Schächte, durch die sie hier eingedrungen wäre, hätte sie die andere Route genommen. Hier gab es Licht, nicht jedoch an der Stelle, an der Er lag. B. J.s Gebieter konnte direktes Sonnenlicht nämlich nicht mehr ertragen. Ihm genügte der Mondschein und im Glanz des vollen Mondes schwelgte Er geradezu! Eines Tages würde auch B. J. so weit sein, denn auch sie war ein Kind des Mondes. Bereits jetzt mied sie die Sonne, so gut es ging, obwohl ihr Licht für sie noch nicht tödlich war – jedenfalls nicht in ihrer menschlichen Gestalt.
    Warum ausgerechnet hier? Sie hatte sich schon oft gefragt, weshalb Radu seine Zuflucht hier oben errichtet hatte anstatt an einem Ort völliger Finsternis. Dabei wusste sie sehr wohl, dass ihn die Umstände dazu gezwungen hatten und ihm gar keine andere Wahl geblieben war. Außerdem war er eine Stätte in schwindelerregender Höhe ja gewohnt, wenn auch aus einer anderen Zeit, einer anderen Welt. Andererseits war er seinerzeit an vieles gewöhnt gewesen ...
    Bonnie Jean warf sich ihren Rucksack über die Schulter. Indem sie einem Pfad aus vor Zeiten von der Decke gestürzten und mehr schlecht als recht aneinandergefügten Steinplatten folgte, machte sie sich auf den Weg durch das Gewirr von Felstrümmern. An Stellen, an denen in jüngster Zeit Felsrutsche abgegangen waren, war der Pfad fast nicht zu erkennen, die Steinplatten verschüttet oder beiseite geschleudert und zu kantigen Granit- und Felshaufen aufgetürmt, die der Salpeter zu beinahe kristallinen Gebilden zusammengeschweißt hatte. »In jüngster Zeit« hieß bei B. J. allerdings etwas anderes als für Menschen mit normaler Lebensspanne. Sie meinte damit jeden beliebigen Zeitpunkt innerhalb der letzten hundert Jahre! Dennoch war es nur gut, dass die Zeit ihres Gebieters nahte und Sein Erwachen bevorstand, denn diese Höhle würde nicht ewig standhalten. Und in der heutigen modernen Welt ... nun, »Reparaturen« kamen nicht infrage! Oh, in verschiedenen Landesteilen war Ihm durchaus noch eine Handvoll Knechte verblieben, und B. J.s Mädchen natürlich ebenfalls. Doch sie alle sicher und unbemerkt hier heraufzuschaffen, wäre nahezu unmöglich. Außerdem könnten sie eine derartige Aufgabe niemals bewältigen. Diese Stätte war lange vor B. J.s Zeit errichtet worden und die Knechte, die sie für Ihn gebaut hatten, waren dabei umgekommen. Zudem war das Land ringsum in jenen vergangenen Zeiten eine Wildnis gewesen und geschützt vor neugierigen Blicken ...
    Dies ging ihr durch den Kopf, während sie sich dem Lager der Kreatur näherte, jener düsteren Kaverne abseits der Haupthöhle, in die niemals ein Lichtschein fiel, wo die Stille grenzenlos war. Die physische Stille jedenfalls. Die Atmosphäre hingegen, oder vielmehr der Äther – falls es etwas Derartiges überhaupt gab –, schien geradezu zu brodeln. Das erdrückende