Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
seine Wandlungskunst, seine Hartnäckigkeit und seine furchtbare Gier. Denn was dieses Wesen, das keinen einzigen moralischen Wert kannte, antrieb und am Leben erhielt, war Blut, und das Einzige, was es im Sinn hatte, war, dass Radu sich ans Leben klammerte. Aye, und sollte dies auch jedem den Tod bringen, mit dem er fortan in Berührung kam ...
Als Radu sich dem Lager der Zirescus näherte, verhielt er sich vorsichtig. Die Wachhunde der Zigeuner (Wölfe, die sie vom Welpenalter an aufgezogen hatten) streunten, lautlos und auf der Hut, im finsteren Wald umher. Sie waren darauf abgerichtet, einen Eindringling, statt zu bellen, um ihn zu verscheuchen, auf einen Baum zu jagen und anschließend zu jaulen und zu heulen, bis jemand nachsehen kam, was los war. Sollte sich das Opfer zur Wehr setzen, würden sie ihm einfach die Sehnen in den Kniekehlen durchbeißen und dann bellen, um die Aufmerksamkeit ihrer Herren auf sich zu lenken. Keine sehr verlockende Aussicht!
Radu machte sich jedoch keine allzu großen Sorgen. Denn irgendwie ahnte er, dass er mit den Wölfen umgehen konnte und mit ihnen genauso zurechtkommen würde wie mit der riesigen weißen Wölfin der Wildnis. Nun ... vielleicht sogar noch besser als mit Singer.
Als sie ihn aufspürten, hielt Radu ihnen die Arme entgegen, und nach ein paar Sekunden krochen sie näher und leckten ihm die Hände, während er in den Schatten des Waldes stand. Als sie anfangen wollten zu jaulen, ermahnte er sie mit einem leisen »Aber, aber!«, bis sie still waren. Er konnte zwar immer noch ihre Unruhe spüren, aber sie gaben keinen Ton von sich. Denn all dies begab sich zu einer Zeit, als die Wamphyri auf der westlichen Sonnseite noch gänzlich unbekannt waren. Abgesehen von den entsetzlichen Geschichten, die einsame Wanderer hin und wieder am Lagerfeuer erzählten (bestenfalls Ammenmärchen), hatten die Zirescus bislang noch keine rechte Bekanntschaft mit dem Schrecken aus den hoch aufragenden Felstürmen der Sternseite gemacht, der in diesem Augenblick bereits in den östlichen Wäldern wütete. Darum wussten die Wölfe der Zirescus mit jemandem wie Radu nichts anzufangen – erst nach dieser Nacht sollten sie dazu abgerichtet werden.
Also gaben sie sich (zumindest halbherzig) damit zufrieden, dass Radu keine Bedrohung darstellte; er schickte sie wieder weg und ging dann ins Lager. Die Nacht war noch jung, und um das Hauptfeuer in der Mitte saßen mehrere Männer. Radu war mit den Gewohnheiten der Zirescus mehr als vertraut und wusste, dass der Wagen des alten Giorgio am Rand des Lagers stand und wo er ihn finden würde. Das hieß, sofern der fette, alte Bastard noch lebte! Letzteres war nicht unbedingt selbstverständlich, schließlich fraß und soff der alte Zirescu wie ein Schwein, und seine Wutausbrüche hatte er noch nie unter Kontrolle gehabt. Doch sollte er noch am Leben sein ... nun, dann nicht mehr lange! Dann würde er ihm hier und jetzt, noch in dieser Nacht, ein Ende bereiten, und Radus Vater würde ihn in der Hölle erwarten.
Aber ... Radu blieb stehen und verharrte eine Zeit lang im Schatten. Er überlegte. Es erschien ihm doch etwas kühn, einfach so auf das Weidengeflecht von Giorgios Tür zuzumarschieren, anzuklopfen und darauf zu warten, dass man ihn hereinbat. Was, wenn der Alte durch ein Guckloch spähte und ihm etwas verdächtig vorkam? Wenn er dann um Hilfe rief ... Die Sterne standen am Himmel, und die Nacht war viel zu hell. Besser wäre ein wenig Bodennebel, damit man seine Schritte nicht so hörte und auch nicht die Geräusche, falls es zu einem kurzen Handgemenge kam. Wenn der feuchte, fruchtbare Waldboden und die Bäume doch nur die Feuchtigkeit, die sie während des Tages aufgesogen hatten, wieder abgeben und das ganze Lager mit einer weißen, wabernden Decke überziehen würden! Allerdings vermochten dies weder der Boden noch die Bäume zu tun – oder etwa doch?
In einer anderen Welt hätte man es für Magie, Hexerei oder etwas Übernatürliches gehalten. In Radus Welt vielleicht ebenfalls. Aber im Himalaya sollen tibetanische Priester ihre Fähigkeiten erproben, indem sie sich in gefrierendem Wasser in Schlaf versetzen und beim Erwachen genügend Körperwärme produzieren, um das Eis wieder aufzutauen! Ein Glühwürmchen leuchtet von innen heraus, ohne dabei zu verbrennen, und findet, indem es seinen Körper in eine Laterne verwandelt, einen Partner. Und es gibt Tiere, die bei Temperaturen, die für andere Spezies den sicheren Tod bedeuten,
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