Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
besser für Radu. Wenn die Zeit kam, sich um die beiden zu kümmern, konnte er sie einzeln erledigen. Da sie sich ins Gerede gebracht hatten und zu »Legenden« geworden waren – als viesky oder vrykoulakas , die nächtens wie Fledermäuse umherflogen, um ihren Opfern das Blut auszusaugen oder Frauen und Kinder zu rauben –, dürfte es wohl nicht schwerfallen, eine Streitmacht aus Einheimischen aufzustellen, um ihre Burgen anzugreifen. Oh, Radu konnte es kaum noch erwarten! Doch alles zu seiner Zeit.
Vorerst hatte er anderes zu tun ...
Radu war davon ausgegangen, dass er fünfzig Jahre brauchen würde, um sich zum Herrn oder vielmehr »König« über das Hufeisen-Gebirge aufzuschwingen. Fünfzig Jahre vergingen, doch noch war es nicht so weit. Denn das Schicksal, der Lauf der Geschichte und alte Feindschaften kamen ihm dazwischen. Allem, was er sich selbst geschworen hatte, zum Trotz machte er von sich reden, wurde bekannt und somit angreifbar.
Fünfzig Jahre, um sich jeden Weiler, jedes Bergdorf und jede Siedlung zu unterwerfen. Ein halbes Jahrhundert, um zum Wojwoden der Hufeisen-Berge aufzusteigen – des östlichen Teiles zumindest –, und dies zu einer Zeit, in der das Letzte, was diese Gegend brauchte, ein Kriegsherr oder Möchtegern-Fürst war. In jeder Siedlung hatte er einen seiner Leutnante untergebracht, allesamt Werwölfe, und jeder von ihnen hatte Dutzende von Knechten zu seiner Unterstützung. Radu kannte jeden Pass, jeden Pfad und jede Abkürzung im östlichen Teil des Gebirges und konnte seine Männer in Windeseile von einem Ort an den anderen verlegen. Warum auch nicht, schließlich trugen sie alle das Erbe eines Wolfes in sich. Radu und sein Rudel waren in der Tat furchterregende Krieger ... oder vielmehr, sie hatten das Zeug dazu. Lediglich an einem Krieg mangelte es ihnen hier oben!
Überdies lag Radu vollkommen falsch in seiner Annahme, die Drakuls seien in der Bevölkerung verhasst. Natürlich wurden sie gehasst – von denjenigen, denen sie etwas zuleide taten; die anderen hingegen verehrten sie geradezu! In der Tat hatten sie während einhundertfünfzig Jahren die Bewohner der westlichen Gegenden des Gebirges unterwandert und korrumpiert und in einem solchen Ausmaß zu Vampiren gemacht, dass mittlerweile ganze Siedlungen unter ihrem Bann standen, einschließlich eines jeden Weilers, der die Zugänge zu ihren Bergfesten säumte.
Mehr noch, die Drakuls hatten zahllose Knechte rekrutiert und als ihre Diener oder »Abgesandten« (oder vielmehr Spione) in die Welt hinausgesandt. Diese waren zu Wanderern geworden, zu Zigeunern, »Travellern«, nicht anders als auf der Sonnseite einer fernen, anderen Welt. Schon vor hundert Jahren hatten die Drakuls sich dies ersonnen, als das Imperium noch die Vormachtstellung in diesem Teil Dakiens innehatte. Gefolgsleute der Drakuls hatten sogar die Grenze überschritten, um treue Bürger Roms zu werden – anders ausgedrückt: »Schläfer« in den sogenannten »zivilisierten« Regionen einer barbarischen Welt. Sie waren zu Römern geworden, aye ... beziehungsweise Romani? Romany! Der Ursprung noch einer weiteren Legende.
Und so waren die Drakuls nahezu unverwundbar geworden, unangreifbar außer vielleicht in der Mittagshitze eines heißen Sommertages, wenn sie tief in den Gewölben ihrer Burgen in ihrer »Heimaterde« schliefen, die sie von der Sternseite mitgebracht hatten.
Doch davon hatte Radu keine Ahnung, jedenfalls damals noch nicht.
Er wusste zwar, wo sie sich aufhielten, aber nicht, wie mächtig sie geworden waren. Dabei hätte er es durchaus ahnen können; denn als die fünfzig Jahre vorüber waren, die er sich selbst zugestanden hatte, sandte er Späher aus, mitten hinein in das Gebiet der Drakuls, um die Lage zu erkunden ... und nicht einer von ihnen kehrte zurück. Aber Radu selbst war ebenfalls zu einer Macht geworden, so mächtig, dass er sich für unverwundbar hielt. Vielleicht hatte ihn dies nachlässig gemacht ...
Unterdessen blieb die Zeit nicht stehen. In der Welt jenseits der Berge, jenseits der Donau, außerhalb Dakiens ging das Leben weiter. Das Weströmische Reich war untergegangen, in Italien hatten die Ostgoten ihr Königreich errichtet; lediglich Ostrom, das Reich der Byzantiner mit seiner Hauptstadt Konstantinopel, hatte weiterhin Bestand. Er hatte davon gehört, denn natürlich erreichten ihn Nachrichten von außen; womöglich trauerte er sogar ein bisschen all dem Blut hinterher, das auf den zahllosen Schlachtfeldern so
Weitere Kostenlose Bücher