Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
Brenda und das Baby konnten sich überall befinden. Wo, konnte er nur raten. Die Große Mehrheit half ihm hier auch nicht weiter, denn abgesehen von Harry hatten sie keinen Kontakt zu den Lebenden. Und die Lebenden ...?
Wenn jemand ihm etwas sagen konnte, dann die Spezialisten des E-Dezernats, Darcy Clarkes ESPer. Doch auch hier Fehlanzeige. Er glaubte ihnen; sie wussten es einfach nicht. Was blieb Harry nun also übrig? Welche Chance hatte er noch? Bestenfalls eine sehr magere.
Dennoch war er in Seattle im Bundesstaat Washington, USA, gewesen (weshalb, wusste er selber nicht), angeblich auf der »Suche« nach zwei Menschen, die ihm sehr viel bedeuteten oder dies doch zumindest sollten. Aber selbst darüber war er sich nicht im Klaren. Liebte er Brenda? Sie liebte ihn jedenfalls nicht, kannte ihn ja noch nicht einmal in seinem neuen Körper! Und liebte er das Baby? Was, Klein-Harry, der über alles, was ihn ausmachte, besser Bescheid wusste als er selbst?
Trotzdem musste Harry weitersuchen, und sei es auch nur, um herauszufinden, warum sie ihn verlassen hatten. Nein, noch nicht einmal das, denn er wusste ja, weshalb: weil er nicht mehr er selbst und das, was er tat – und in Zukunft vielleicht noch tun würde –, gefährlich war. Das Baby liebte seine Mutter, das war es auch schon, nicht anders als Harry seine Mutter liebte. Allerdings würde dieses Baby es niemals zulassen, dass Brenda etwas zustieß!
Zurück zu jener »Suche«. Was für ein Witz! In England hatte alles ja noch ganz vernünftig ausgesehen. So nah an Brendas Ursprüngen, war sie ihm wirklich vorgekommen und durchaus erreichbar. Hier jedoch schien es unmöglich. Worauf es letztlich hinauslief, war, dass Harry in einem fremden Körper in einer fremden Stadt in einem fremden Land umherwanderte und darauf hoffte, dass der Zufall ihm jemanden in die Arme führte, der sein Bestes gab, ihm aus dem Weg zu gehen. Es gab Millionen anderer Orte, an denen sie sein konnte. Und ohnehin rauschte alles nur so an ihm vorüber, denn er fühlte sich furchtbar ...
Vielleicht wäre er sogar länger geblieben, ohne etwas Besonderes zu unternehmen, wäre ihm nicht B. J.s Wein ausgegangen. Doch wie es allmählich aussah, war er nicht allein ihrem Wein verfallen. Immer wieder musste er an B. J. denken: Sie hatte etwas Betörendes an sich, vielleicht hatte er ihr auch irgendein Versprechen gegeben, oder sie ihm? Etwas Unausgesprochenes lag zwischen ihnen in der Luft, und er wünschte, sie hätten es ausgesprochen.
Harry war nicht allzu zufrieden darüber, dass er B. J. den Wein gestohlen hatte, aber jedenfalls wusste (oder vielmehr hoffte) er, dass dies das letzte Mal gewesen war. Mit ein bisschen Glück hatte er ihn schon verdaut. Um ehrlich zu sein, war sein »Problem« – seine beziehungsweise Alec Kyles Alkoholabhängigkeit – im Grunde ziemlich speziell. Denn mittlerweile hatte sich gezeigt, dass der Necroscope nichts anderes trinken wollte als B. J.s Wein. Was hatte er schon davon, wenn das Zeug, außer in großen Mengen, überhaupt nicht wirkte? Vielleicht war er ja eigens deshalb nach Hause zurückgekehrt, um näher bei B. J. und ihrem Wein zu sein? Toll, wenn man so was bemerkte.
Was für eine Art Alkoholismus war das eigentlich? Gab es Raucher, die nach nur einer einzigen Marke süchtig waren? Was, wenn die nicht mehr hergestellt wurde? Wenn die letzte Zigarette der Sorte XY geraucht war, was dann? Hörten sie dann auf zu rauchen? So etwas hatte der Necroscope noch nie gehört. Und seine Mutter ebenfalls nicht.
Lass das Zeug untersuchen, riet sie ihm. Stelle fest, was drin ist. Möglicherweise gibt es ein Gegenmittel.
Harry saß am Flussufer, wo er sich materialisiert hatte, seine erste Anlaufstelle nach seiner Rückkehr. Als er kurz nach sechs Uhr früh in Seattle aufgewacht war, hatte er den Kopf gehoben, und sein Blick war auf die leere Flasche gefallen, die auf dem Bücherbord neben seinem Bett stand. Eine leere Flasche und ein leeres Glas. Sein erster Gedanke war, dass er den Wein aufgebraucht und nichts mehr für heute Abend hatte. Das war vor etwa zwanzig Minuten gewesen. Waschen, Rasieren, dann hatte er sich zusammengenommen, die Zahnbürste in den Mund gesteckt und sich kräftig die Zähne geputzt. Noch ein, zwei Minuten fürs Anziehen, und jetzt war er hier. In Schottland war es bereits mitten am Nachmittag. Es war ein recht warmer Frühlingstag, die Sonne schien, die Vögel sangen etcetera ... und Harry fühlte sich nur
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