Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
sagte. Doch zu spät!
Gut! , entgegnete seine Mutter, und dieses kleine Wörtchen sprach Bände. Anscheinend hatte sie nun auch keine Lust mehr, sich weiter mit ihm zu unterhalten ...
Harry nahm den Pfad am Flussufer bis zu dem Torbogen in der Gartenmauer, und als er den Garten betrat, vernahm er gerade noch, wie vor dem Haus der Motor eines Wagens erstarb. Da die übrigen Häuser in dieser einstmals sehr guten, nun aber heruntergekommenen Wohngegend leer standen, konnte es nur die Post sein oder jemand, der zu ihm wollte.
Dem Dornengestrüpp ausweichend, so gut es ging, rannte Harry den Gartenweg entlang und beeilte sich, ins Haus zu kommen. Er hätte natürlich die Möbius-Route nehmen können, doch je weniger er vom Kontinuum Gebrauch machte, desto geringer auch die Chance, dass er sein Geheimnis aus Unachtsamkeit verriet. Innerhalb von Sekunden war er an der Wohnungstür, wo er einen weiteren Moment brauchte, diese aufzuschließen und zu öffnen. Draußen befand sich ein hochgewachsener, schlanker junger Mann bereits wieder auf halbem Weg zurück durch den von einem Mäuerchen umgebenen Vorgarten zum Tor, das er offen gelassen hatte. In der Hand hielt er einen großen Umschlag aus Packpapier. Vor dem Tor wartete ein dunkler Wagen auf der von Schlaglöchern übersäten Zufahrtsstraße. Als der Mann die Haustür hörte, wandte er sich um und erblickte Harry.
»Post«, sagte er, indem er Harry den Umschlag zeigte. Bemüht, nicht allzu neugierig zu erscheinen, musterte er den Necroscopen aus scharfen Augen.
Harry erwiderte den vorsichtig abschätzenden Blick und meinte: »Sie sehen nicht gerade aus wie ein Postbote.« Das stimmte. Zum einen trug er keine Uniform, und der Wagen auf der Straße war auch kein Postauto. Außerdem befanden sich auf dem Umschlag weder Adresse noch Briefmarke.
Der Mann zuckte die Achseln. »Nun ja, sagen wir, es handelt sich um eine ›Sonderzustellung‹. Oder eher ...«
»... das E-Dezernat!« Harrys Mundwinkel sackten nach unten, als der Mann Anstalten machte, wieder zurückzukommen. »Kenne ich Sie?« Er hielt die Haustür auf, um seinen Besucher einzulassen. Beide mussten sie aufpassen, um nicht auf die Post zu treten, die sich im Lauf des letzten Monats auf der Fußmatte hinter der Tür angesammelt hatte. Das meiste davon war ohnehin nur zum Wegwerfen.
Sein Gegenüber schüttelte den Kopf und streckte ihm eine Hand entgegen, die Harry geflissentlich übersah. Er hatte Darcy doch gesagt, dass er mit alldem fertig war. »Munroe.« Der Fremde ließ die Hand wieder sinken. »James Munroe. Und nein, wir sind uns noch nicht begegnet. Für gewöhnlich tue ich Dienst in Botschaften, hier und im Ausland, sozusagen ›stets auf der Suche nach Talenten‹. Ich spüre ESP-Kräfte auf und bin erst vor Kurzem aus Italien zurückgekehrt, um zu Hause neue Aufgaben zu übernehmen – turnusmäßiger Wechsel des Botschaftspersonals und so weiter. Heute spürte ich, dass Sie endlich wieder da waren ...« Er hielt inne und legte die Stirn in Falten. »Aber es wundert mich ein bisschen, dass Sie so lange brauchten, um die Tür zu öffnen. Gibt es irgendein Problem, Mister Keogh?«
»Nein!« Damit führte Harry ihn quer durchs Haus in den Raum, dessen Terrassentüren auf den Garten hinaus führten und den er sich als Arbeitszimmer erkoren hatte, bot ihm einen Stuhl an und nahm selbst ebenfalls Platz. »Ich war bloß draußen im Garten. Aber sagten Sie ›endlich wieder da‹? Wie lange warten Sie denn schon auf mich?«
»Seit vierzehn Tagen. So lange bin ich jetzt in Edinburgh, und jeden Tag kam ich hierher, um nachzusehen, ob Sie wieder zurück sind.«
Während sie sich unterhielten, taxierte Harry James Munroe. Er war sechsundzwanzig oder siebenundzwanzig Jahre alt, an die einsneunzig und wog dabei höchstens dreiundsiebzig Kilo. Er hatte ein kantiges Gesicht: vorstehendes Kinn, spitze Nase und spitz zulaufende Ohren. Das rabenschwarze Haar trug er zurückgekämmt und hielt es mit Gel in Form. Lediglich seine Augen bewahrten ihn davor, zynisch oder gar düster zu wirken; sie waren groß und braun, sein Blick scharf, aber offen und ehrlich. Man konnte ihm in die Augen sehen, ohne sich groß zu fragen, was wohl in ihm vorging.
»Seit vierzehn Tagen? Und Sie sind jeden Tag hergekommen? Ist es denn so wichtig?«
»Für Sie schon, nehme ich an.« Munroe zuckte die Achseln. »Und das E-Dezernat dürfte auch etwas davon haben, aber das ist bloß eine Vermutung. So arbeiten wir nun mal, aber das
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