Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
durch. Schon seit Langem standen sie zum Verkauf. Hin und wieder kam jemand, um sie sich anzusehen, und ging kopfschüttelnd wieder weg. Es handelte sich eben um keine begehrte Lage. Im mittleren Haus wohnte Harry. Es war zwar einsam, doch konnte er sich hier ungestört mit seiner Mutter unterhalten, ohne befürchten zu müssen, dass jemand mitbekam, wie er am Flussufer saß und Selbstgespräche führte.
Von der Straße auf der anderen Seite des Flusses aus erhaschte Bonnie Jean durch die das Ufer säumenden Bäume hindurch ihren ersten Blick auf das Anwesen. Sie bat den Taxifahrer zu halten, und blieb eine ganze Zeit lang sitzen, in der sie nichts anderes tat, als über den Fluss zu schauen. Man sah sofort, welches Haus bewohnt war. Das Erdgeschoss war hell erleuchtet; der Schein fiel durch die Fenster und tauchte den riesigen Garten in ein unheimliches Licht. Im Innern regte sich nichts. Verglichen mit den anderen Häusern wirkte es jedoch voller Leben. Merkwürdigerweise fand Bonnie Jean, dass es zu Harry Keogh passte. Es entsprach seinem Charakter.
Sie hatte den Fahrer aus einem einfachen Grund gebeten, hier anzuhalten: Sie wollte das Anwesen zunächst aus sicherer Entfernung beobachten. Aber es war, was es schien, nichts weiter als ein altes Haus, das allmählich verfiel. Eine konspirative Wohnung stellte sie sich so jedenfalls nicht vor. Doch wie dem auch sein mochte, da Harrys Kollegen, seine ehemaligen Brötchengeber, bereits über sie Bescheid oder doch zumindest von ihrer Existenz wussten, machte es ohnehin keinen Unterschied. Er hatte ihr erzählt, dass er nicht mehr für diese Leute arbeitete und sie auch keinerlei Interesse mehr an ihr hatten. Daraufhin hatte sie sich doppelt abgesichert, indem sie ihm ein paar posthypnotische Befehle erteilte. Allerdings war dieser geheimnisvolle Harry Keogh kein gewöhnlicher Mann, deshalb würde sie das Ganze sowieso noch einmal überprüfen müssen.
Nach einer Weile wies sie den Fahrer an, weiterzufahren, und keine Minute später überquerten sie auf einer alten, steinernen Brücke den Fluss und gelangten auf eine von Schlaglöchern übersäte Zufahrtsstraße, an deren Ende sich die Häuserreihe befand. Vor Harrys Adresse, Riverside Nummer 3, dort, wo das Licht brannte, stieg B. J. aus und zahlte.
Während das Taxi wieder anfuhr, ging B. J. den mondbeschienenen Streifen aus Pflastersteinen entlang bis zu Harrys Tür, die sich öffnete, als sie sie erreichte. Harry stand vor ihr.
Indem er ihr die mit chinesischen Motiven bedruckten Papiertüten abnahm, bat er sie hinein. Er wirkte angespannt und entschuldigte sich dafür, wie es bei ihm aussah. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Offensichtlich hatte er schnell noch einiges erledigt.
»Du ... siehst ganz schön geschafft aus!«, meinte sie, während sie sich in dem geräumigen, allerdings nur spärlich möblierten Arbeitszimmer umblickte, dem einzigen Raum, auf den er längere Zeit verwandt hatte, allerdings schon vor fast einem Monat. »Was um alles in der Welt hast du bloß angestellt, Harry?«
Er verzog das Gesicht. »Äh, aufgeräumt?«
»Ach, tatsächlich?« Unwillkürlich musste sie lächeln. »Dann kann ich ja froh sein, dass ich nicht hergekommen bin, solange es noch unaufgeräumt war.«
Er nickte niedergeschlagen. »Es sieht wohl ziemlich unordentlich aus, was?«
Verblüfft schüttelte sie den Kopf. »Und hier wohnst du?«
»Ist es denn so schlimm?« Er ließ seinen Blick ringsum schweifen und fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. Dann nickte er abermals. »Ja, das ist es wohl. Aber eigentlich ist das Haus gar nicht so schlecht. Es war mal ein schmuckes Anwesen und ist für die Ewigkeit gebaut. Und das ist ganz gut so, in letzter Zeit wurde nämlich nicht allzu viel daran getan. Das Grundstück ist ziemlich ... verwahrlost, ja. Aber Hauptsache, es gehört mir und ich kann es wieder herrichten. Ich bin noch nicht so lange hier, und ich war ziemlich beschäftigt. Aber ich habe das Haus begutachten lassen, im Grunde ist es in Ordnung. Das heißt von der Bausubstanz her.«
Harry breitete die Arme aus, wobei die Tüten vom Chinesen in Schwingungen gerieten. »Es ist in bestem Zustand! Ich werde die Teppiche austauschen ... na ja, irgendwann. Ein paar Bodendielen knarren ein bisschen, und die Einrichtung könnte, äh, schöner sein, nehme ich an. Und ich habe keine Ahnung, wo der viele Staub herkommt.« Er seufzte, und sein schlecht gespielter Optimismus fiel von ihm ab. »Es müsste
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