Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
vielleicht hast du ja recht. Ich habe das Zeug auch versucht und mich am nächsten Morgen genauso gefühlt, wie du damals aussahst. Aber verkauft habe ich den Wein nicht. Ich habe ihn meinen Gästen zum Probieren gegeben – denen hat er auch nicht geschmeckt.«
»Es ist also nichts mehr da?«
»Nein, alles leer.«
Harry ertappte sich dabei, wie er gegen seinen Willen mit den Zähnen knirschte. Er wusste nicht, ob er froh oder wütend sein sollte. Er hätte alle Flaschen mitnehmen sollen, als er die Gelegenheit dazu hatte. Aber nein, natürlich nicht! Wahrscheinlich war es zum Besten, dass das üble Zeug weg war und damit offensichtlich auch die Nachwirkungen oder was auch immer von Alec Kyles Alkoholsucht. Denn auf B. J.s Liebfrauenmilch hatte Harry nun beim besten Willen keine Lust! Wie dies alles zusammenhing, vermochte er nicht zu sagen, doch nun war es endlich vorüber. Das musste es ja wohl auch sein, von B. J.s Wein war nämlich nichts mehr da.
Als hätte in seinem Kopf jemand einen Stöpsel gezogen, schwanden mit einem Mal all seine Frustrationen, seine Sorgen und Selbstzweifel. Hatte ihn vor einem Augenblick noch ein brennendes Verlangen gequält, war er nun gelassen und erleichtert. Vielleicht war er ja doch wie der eine Raucher unter Millionen, der nach nur einer einzigen Marke süchtig war ... und die wurde nun nicht mehr hergestellt! »Ach, wirklich?«, meldete sich in den Tiefen seines Unterbewusstseins eine leise Stimme zu Wort. »Und was ist mit Griechenland? Ich wette, dort kann man noch was von dem Zeug bekommen ...«
Und da war sie, die Frage, die ihm auf der Zunge brannte: Ach, übrigens, dieser Bekannte von dir, der dir damals den Wein mitgebracht hat? Du weißt nicht zufällig, woher er ihn hatte, oder? Fast wäre er damit herausgeplatzt. Doch dies durfte er niemals äußern. Niemals! Nicht, wenn er wieder sein eigener Herr sein wollte.
»Ich habe nur gemerkt, dass jemand in meiner Wohnung war«, kam sie zu seiner Rettung. »An dich dachte ich zunächst gar nicht, eher an diese Organisation, für die du gearbeitet hast. Es hätte ja sein können, dass sie mich überprüfen wollten oder so.«
Dies traf ihn völlig unvorbereitet. Er hatte die Geschichte, die er ihr aufgetischt hatte, schon ganz vergessen, dass er für das
E-Dezernat noch ein, zwei Punkte klären sollte. Doch nun fiel ihm alles wieder ein, und da das Dezernat tatsächlich ja nichts von ihr wusste, konnte er sie beruhigen: »Nein, B. J., niemand ist hinter dir her. Wie gesagt, die Leute, für die ich gearbeitet habe, haben mit der Polizei nichts am Hut und sind nicht im Entferntesten an dir interessiert. Nicht mehr. An mir übrigens auch nicht. Glaub mir, es tut mir wirklich leid, dass du dir deswegen Sorgen machen musstest ...«
Der Rest der Mahlzeit verlief in peinlichem Schweigen. Beide hingen sie ihren Gedanken nach. »Soll ich dir was sagen?«, meinte Harry, als er sich schließlich seufzend zurücklehnte. »Ich glaube, das ist das erste Mal seit – Gott, ich weiß nicht, wie lange –, dass ich mich wirklich entspannt fühle. Das Essen, das du ausgesucht hast, war einfach großartig. Und dasselbe ... trifft auch auf dich zu. Vielleicht ein bisschen querköpfig, aber großartig. Aber wer bin ich schon, so mit dir zu reden?«
»Ja, wer schon?«, sagte sie. Dabei klang sie wie seine Mutter; nur was er dabei empfand, war ganz anders. »War das etwa ein Kompliment?«
Harry lachte und rieb sich das Kinn. »Eins? Da bin ich mir nicht so sicher«, entgegnete er. »Eher eine ganze Reihe davon!«
»Hast du keinen besseren Spruch drauf? Du erzählst mir, wie toll ich bin, wenn auch ein bisschen querköpfig? Das klingt, als wolltest du mich anmachen. Nun, ich muss dir sagen, da habe ich schon bessere Sachen gehört!« Als sie »nun« sagte, hörte sie sich wirklich an wie seine Mutter.
Der Gedanke an den Rotwein war wie weggeblasen. B. J. hatte ihm ein paar Stichworte gegeben, die nichts mit den bisherigen posthypnotischen Befehlen zu tun hatten, und Harry sprang darauf an. Mit einem Mal wurde ihm klar, was ihm seit achtzehn Monaten fehlte – und das war nicht nur sein eigener Körper.
Er räumte die benutzten Teller und das Besteck ab. Während er sich damit zu schaffen machte, fragte er: »Frierst du? Ist es kalt hier drin?« Seit seinem Einzug war im Kamin ein Feuer errichtet, doch bislang hatte der Necroscope keine Notwendigkeit gesehen, es auch anzuzünden. Im Allgemeinen liebte er es eher kühl, außerdem
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