Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
aufzuspüren? So, wie Dahams Leute Nachforschungen über die sogenannten »Ferenczinis«, später »Francezcis«, angestellt hatten, war auch jemand anders aktiv geworden, und zwar von England aus! So viel wusste Daham, schließlich hatte er seine Augen und Ohren dort; und nicht allein in der Gestalt rot gewandeter Priester. Radus Knechte schützten ihren schlafenden Gebieter noch immer und sorgten für ihn und spürten bis zu seiner Wiederkehr selbst ebenfalls seinen alten Erzfeinden nach.
Und wenn er eines Tages wiederkehrte, was dann? Wie würde es dann dem Wamphyri Daham Drakesh an diesem zwar abgelegenen, aber nicht gänzlich unzugänglichen Ort ergehen? Wie viel Zeit blieb ihm noch, ehe Radu ihn ausfindig machte? Beziehungsweise – sollten die Ferenczys Radu zuvorkommen und diesen töten – wie lange würde es wohl dauern, bis sie ihm, Daham, auf die Spur kamen?
... Oder (und dies wäre mit Sicherheit der schlimmstmögliche Fall) was, wenn sie ihn bereits aufgespürt hatten ...?
Nun, bislang gab es keinerlei Hinweis darauf, aber das konnte sich jederzeit ändern; und Daham Drakesh glaubte fest an eine weitere alte Regel: Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen!
Egon hatte ihm von einem gewaltigen Blutkrieg erzählt, der einst, in grauer Vorzeit, in der Vampirwelt getobt hatte. Lord Shaitan der Ungeborene hielt sich aus allem heraus und ließ die unbedeutenderen Lords kämpfen, bis diese allesamt ihre Kräfte erschöpft hatten und von den Anstrengungen geschwächt waren. Anschließend unterwarf er sie sich einen nach dem anderen, bis er der uneingeschränkte Herrscher war. Es war eine lehrreiche Geschichte, aus der man einiges lernen konnte.
Doch wie viel besser, um wie viel größer die Ironie, hätte Shaitan der Ungeborene jene geringeren Lords auch noch selbst aufeinandergehetzt? Wenn er alles absichtlich so eingefädelt hätte, dass sie ihm den Großteil seiner Arbeit abnahmen? Wer weiß, vielleicht hatte er ja ebendies getan? Vielleicht sollte Daham das Gleiche tun. Der vollendete Agent provocateur, ja.
Es gibt nichts Neues unter der Sonne ...
Diese Gedanken schossen dem Vampir-Lord durch den Kopf, während sein Besucher, Major Chang Lun von der rotchinesischen Volksarmee, sich vergebens abmühte, es sich in der kargen Höhle, die dem letzten Drakul als Wohnraum diente, bequem zu machen.
In eine der Wände war eine Nische gehauen. In den zwei Meter zehn mal sechzig Zentimeter großen Alkoven war eine lange, mit einem Deckel versehene Kiste, ähnlich einer Wäschetruhe, eingepasst. Eine Sitzbank, auf deren polierter Oberfläche Sofakissen aus einem groben, hier in der Gegend hergestellten Stoff verstreut lagen. Dort hatte Drakesh den Major Platz nehmen lassen, auf seinem eigenen Bett – das sich in der Kiste befand. Normalerweise würde Drakesh um diese Zeit eigentlich darin liegen. Leider war er gezwungen, unter gewissen, höchst seltenen Umständen, zum Beispiel diesem, Zugeständnisse zu machen.
Während Chang Luns »Gastgeber« aus einer angrenzenden Höhle Tee und ein paar grauenhafte tibetanische Kekse holte, setzte sich der Major und kniff seine mandelförmigen Augen zusammen, um den Blick über den schummrigen, irgendwie verraucht wirkenden Raum schweifen zu lassen. Er war keineswegs verraucht oder verqualmt, soviel war Chang Lun klar, dennoch schien dieser Ort voller wabernder Schatten, die der Szenerie ein merkwürdiges Eigenleben verliehen. Möglicherweise lag es an dem indirekten Tageslicht, das durch die schmalen, direkt in die gewaltige, gegenüberliegende Wand gehauenen Schlitze sickerte, der einzige Hinweis darauf, dass Daham Drakeshs Gemächer sich an der Außenmauer des Klosters befanden.
Chang Lun hatte sich über diese schmalen Fenster zuvor schlaugemacht. In jeder anderen Feste in jedem anderen Land hätte man sie ohne Weiteres für uralte Schießscharten halten können, in Wirklichkeit jedoch stellten sie Drakeshs Uhr dar. Das Licht durchquerte den Raum in schwachen, kaum wahrnehmbaren Streifen, die auf der Wand über der Nische, in der Chang Lun saß, Muster bildeten. Je nach Form und Helligkeit dieser Muster konnte Drakesh, jeweils abhängig von der Jahreszeit, auf zwei bis drei Minuten genau die Uhrzeit bestimmen.
»Und was tun Sie, wenn es Nacht ist?«, hatte der Major ihn einmal gefragt.
»Ich empfinde eine gewisse Verbundenheit mit der Nacht«, hatte Drakesh prompt erwidert, »und verfüge über die instinktive Fähigkeit zu bestimmen, welche
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