Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
Stufen führten hinab zu einer ebenen Fläche in der Mitte. Während der Rest der Halle oder Höhle beinahe im Dunkeln lag, war dieser Bereich hell erleuchtet. Von der Decke hingen an Ketten brennende Kohlenbecken herab und warfen ihren flackernden Schein auf eine Szene, wie sie sich noch nicht einmal Hieronymus Bosch in seinen Höllen-Triptychen ausgemalt hatte. Als sie auf die umlaufende Galerie hinaustraten, blieb der Major abrupt stehen. Sofort packte Drakesh ihn mit erstaunlich kräftigem Griff am Ellenbogen. »Oh, nein!«, flüsterte er. »Seien Sie bitte leise und stören Sie nicht! Die sind im Gebet befangen ...«
»Die« waren die Mönche des Klosters, die Mitglieder der Sekte, die seinem Glauben anhingen. Sie waren nackt; ihre roten Mönchsroben lagen zusammengefaltet auf den unteren Stufen, die rings um das Rund des Amphitheaters liefen. Ihre blassen, zuckenden Leiber drängten sich um das Podium in der Mitte – nein, den langen Steintrog, wie Chang Lun nun feststellte –, dennoch wirkten diejenigen, die auf oder in dem Trog standen, nach wie vor rot gewandet. Weil sie blutüberströmt waren!
Mit gesenkten Häuptern trotteten sie im Gänsemarsch in ihrem typischen Schlurfen vom einen Ende des Troges zum anderen, während die umstehenden »Brüder« mit langen, schwarz-roten, vorn eisenbewehrten Peitschen unentwegt auf sie einhieben. Das Blut floss nur so an ihnen herab. Mit rot verfärbten Füßen wateten sie durch die zentimeterhoch stehende Flüssigkeit, als würden sie Trauben stampfen. Nicht einem der »Brüder« entrang sich ein Schmerzensschrei, nur dieses leise Stöhnen von allen Seiten; und am meisten stöhnten diejenigen, die die Peitschen schwangen ... weil sie wussten, dass als Nächste sie an der Reihe waren.
Das im Trog befindliche Blut lief durch kreisrunde Löcher in eine Rinne ab bis zu einem Gitter, hinter dem es dampfend in der ungewissen Finsternis eines Schachtes verschwand. Die Mönche, die ihr Blut gegeben hatten, stiegen auf der gegenüberliegenden Seite aus dem Trog und taumelten schwankend einen Gang entlang, vermutlich zu einem Raum, in dem sie sich ausruhen und wieder zu Kräften kommen konnten. Unterdessen nahmen am anderen Ende Brüder, denen es bisher erspart geblieben war, ihre Plätze ein, traten in den Trog, und das blutige Martyrium begann aufs Neue. Am Rand der Umfassungsstufen waren die Letzten der Priester gerade dabei, ihre Gewänder abzulegen, und nahmen von denjenigen Mönchen, die sich nun in die Linie der schlurfenden, stöhnenden Gestalten einreihten, deren Peitschen entgegen.
»Im Gebet?«, meinte der Major entsetzt. Seinen Fahrer überlief ein Schauder, während Daham Drakesh mit ihnen um die Galerie und durch einen Torbogen hastete, der mit einem Ankh-Kreuz gekennzeichnet war – dem Symbol langen Lebens, wie Chang Lun wusste. Langes Leben – an einem derartigen Ort?
»Was geschieht mit dem ganzen Blut?« Das Gesicht des Unteroffiziers war eine Spur blasser geworden. »Wohin fließt es? So viel Blut, so viel ... Leben?« Eine Zeit lang herrschte Schweigen, die einzige Antwort war das Flackern von Drakeshs Fackel, der ihnen vorauseilte. Dann schließlich, nach einer Weile, erscholl hallend seine Stimme:
»Das Blut kehrt ... irgendwann zur Erde zurück. Es ist doch gewiss besser, es frisch zu opfern anstatt in verfaulenden Leichnamen? Der Mensch beutet die Scholle und die Flüsse aus, und was gibt er zurück? Nichts als Pisse und Scheiße, bis zuletzt. Hier hingegen befolgen wir unsere Pflicht gegenüber der Natur!«
»Ha!« Der Major konnte ein verächtliches Schnauben nicht unterdrücken. »Und, bluten Sie mit ihnen, Daham Drakesh?«
»Mit ihnen?«, fuhr Drakesh ihn in der Tür zu seiner Unterkunft an, und einen Augenblick lang hatte es den Anschein, als wüchse er noch weiter in die Höhe. Doch dann erlosch das Feuer in seinen Augen allmählich, als er entgegnete: »Nein, Chang Lun, ich blute für sie; denn sie sind allesamt Sünder! Jede Nacht sündigen sie. Selbst ihre Träume sind durch und durch verdorben und voll der Laster, die in jedem Menschen stecken. Sie träumen von Frauen, manche sogar von Männern. Sie vergehen sich an ihrem eigenen Fleisch und machen es so verachtenswert. Doch hier an diesem Ort sind wir alle vom Geist und nicht vom Fleisch. Darum lassen wir es von Zeit zu Zeit zu, dass ihre lasterhaften Körper gereinigt werden, und zwar nicht von irgendwelchen minderwertigen Flüssigkeiten, sondern indem wir die Essenz des Lebens
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