Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
erklärte sie ihm ... und wechselte abrupt das Thema. Sie hatte nämlich über einiges nachgedacht heute Nacht und außerdem ihren Träumen gelauscht.
»Harry, sag mir, was du über das Leben denkst!?«
»Über das Leben?« Er schaute schon wieder in seinen Rückspiegel.
»Die Geburt, das Leben, den Tod – die ganze Sache. Ich meine, was hältst du davon? Du ... wir sind zwar noch jung, aber wir werden älter, und irgendwann sterben wir. Dann ist alles vorbei!«
Harry wusste alles darüber – und auch, wie sehr sie sich irrte, dass der Tod nicht das Ende bedeutete und eben nicht »alles vorbei« war. Doch darüber durfte er nicht reden. Im Moment allerdings konnte er durchaus lügen, denn solange er sich nicht bewusst Gedanken darüber machte, war er Herr seiner selbst. Aber vielleicht brauchte er ja gar nicht zu lügen. »Das ist ein bisschen morbide, findest du nicht?«, meinte er. »Wie kommst du denn darauf?«
»Oh, ich weiß nicht«, erwiderte sie, bemüht, es ihm zu erklären. »Aber es ist doch so, dass wir beim Älterwerden so viel hinter uns lassen. Unsere Familie, Freunde, die Menschen, die wir lieben – insbesondere die. Ein Partner ist älter beziehungsweise altert schneller und stirbt früher. Dann bleibt der andere zurück. Das ist unfair und macht es doch sinnlos, überhaupt jemanden zu lieben, oder nicht?«
»Ist es das, was dir Sorge bereitet? Machst du dir Gedanken um die Zukunft?«
Sie seufzte. »Ich stelle dir eine Frage, und du antwortest mit einer Gegenfrage!« Natürlich könnte sie ihn ohne Weiteres hypnotisieren, um in Erfahrung zu bringen, was er dachte. Doch in der jetzigen Situation wäre dies nicht ... fair? Und was, wenn ihr nicht gefiel , was er dachte?
»Na gut«, sagte er, »wenn es so wichtig für dich ist. So wie ich die Sache sehe, ist das Leben eine Art Lernprozess. Wir werden geboren und wissen nur eines: dass wir Hunger haben. Dann werden wir älter und fangen an zu lernen. Irgendwann sind wir dann ›gebildet‹ und glauben, wir wüssten alles! Aber so einfach ist das Leben nicht. Je älter wir werden, desto mehr gilt es zu verstehen, nur haben wir immer weniger Zeit dazu. Und wenn wir eines Tages schließlich sterben –« (damit kannte er sich aus) – »fangen wir so langsam an zu begreifen, dass wir im Grunde genommen von nichts eine Ahnung haben!« Dann werden uns wirklich die Augen geöffnet – nur dass es dann zu spät ist! Denn dann können wir keinem mehr sagen, wie schlau wir sind ...
»Aber was, wenn wir nicht altern würden?«, sagte B. J. »Ich meine, was, wenn wir nicht alt werden müssten, wenn es eine Möglichkeit gäbe, das zu vermeiden?« Ihr war klar, dass sie sich auf äußerst dünnem Eis bewegte. Sie musste darauf achten, dass sie nicht die Lücke zwischen Harrys Bewusstsein und seinem Unterbewusstsein schloss. Es ging nicht an, dass beides sich allmählich wieder miteinander verband.
Aber deswegen brauchte sie sich keine Sorgen zu machen, denn Harry hörte ihr überhaupt nicht zu.
Mit einem Mal wurden seine Knöchel weiß, als seine Finger die Armlehne packten, und er starrte wie gebannt in den Außenspiegel.
B. J. warf einen Blick in den Rückspiegel ... und fuhr zusammen! »Was zum ...«
Der Kombi vom Vortag raste mit ungeheurer Geschwindigkeit hinter ihnen her und holte immer weiter auf. Mindestens zwei Männer in roten Gewändern saßen darin. Und so, wie er auf sie zuschoss, schien er direkt auf ihren Wagen, auf sie zuzuhalten! Unvermittelt flammte ein Gedanke in Harrys Geist auf:
Ist es das? Ich habe ihr Kloster gesehen. Es war Kyles Talent, das mich vor der Zukunft warnte. Werden mir diese Leute ein Ende bereiten? Ein Haufen durchgeknallter Mönche, die uns von der Straße abdrängen wollen? Verhält es sich so einfach? War es das, was mich die ganze Zeit über quälte, die Gewissheit, dass mir irgendetwas bevorsteht?
Der Wagen hinter ihnen zog auf die andere Spur, es sah aus, als setze er zum Überholen an. »Ist das alles?«, stieß B. J. hervor. »Bloß Rowdys? Welcher Idiot hat diesem Wahnsinnigen nur den Führerschein gegeben!« Sie wollte ihn vorbeilassen und trat auf die Bremse ... Dies rettete ihnen wahrscheinlich das Leben.
Als der Kombi vorbeiraste und sie überholte, riss der Fahrer plötzlich das Lenkrad nach links, um sie zu schneiden. Der Zusammenprall mit dem Heck des Kombis schleuderte den Wagen des Alten John nach links. Auf dieser Seite verlief die Straße parallel zu einem grasbewachsenen,
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