Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
irgendetwas dagegen zu tun! Sie hatte ihn so sehr unter Kontrolle, dass er ihr leidtat.
Gleichzeitig allerdings ... machte sich vielleicht doch so etwas wie Verstehen in ihm breit. Jedenfalls herrschte eine ungewohnt angespannte, unnatürliche Stimmung zwischen ihnen. Und hin und wieder, wenn sie ganz plötzlich aus dem Augenwinkel zu ihm hinübersah ...
... war das etwa ein vorwurfsvoller Ausdruck auf Harrys Gesicht? Wäre sie eine untreue Ehefrau, würde sie mit eben solch einem fragenden, irgendwie zweifelnden Blick von einem Ehemann rechnen, der etwas ahnte. Oder bildete sie sich das bloß ein?
»Oh?« Harry hob eine Augenbraue. Er hatte sie dabei ertappt, wie sie ihn mit ebenjenem Blick bedachte, den sie sich gerade vorgestellt hatte!
»Ich habe nur überlegt«, sagte sie und fuhr, noch ehe er fragen konnte, was, fort: »Hinter Pitlochry dauert es keine Stunde mehr, dann sind wir wieder auf meiner üblichen Strecke und erreichen den Forest von Atholl. Dort gibt es jede Menge Stellen, an denen wir anhalten und ein Picknick machen können, wenn du möchtest? Oder wir könnten auch in einem kleinen Café im Wald Halt machen und dort Tee trinken?« Dies alles klang ziemlich schwach, ziemlich ... verräterisch? Selbst in ihren eigenen Ohren, ja. Insbesondere in ihren eigenen Ohren.
»Was immer du magst«, erwiderte er – und dies brachte sie aus irgendeinem Grund auf die Palme. Schlimm genug, dass es hieß »was immer sie mochte«, wo er ihrem Einfluss doch völlig erlegen war. Doch mittlerweile kam er ihr wie ... wie ein Lamm auf dem Weg zur Schlachtbank vor! Und vielleicht noch nicht im Augenblick, noch nicht, aber bald, viel zu bald würde ihm dies auch blühen.
»Vertraust du mir, zum Teufel noch mal, so sehr?«, platzte es aus ihr heraus. Wütend funkelte sie ihn an. »Ganz gleich, was ich sage?«
»Äh, ja.« Er war vollkommen überrascht. »Warum denn nicht?«
Oh, mein Geliebter! , hätte sie um ein Haar laut ausgerufen und war über sich selbst erstaunt. Wenn es doch nur einen Weg gäbe, die Ketten zu zerbrechen, die seinen Geist fesselten, und ihn freizulassen, damit er fliehen könnte, weg, nur weg, wie ein kleines, verängstigtes Vögelchen! Sie würde ... nahezu alles darum geben! Doch sofort wischte sie diesen Gedanken beiseite:
Was, und die Sache verraten, der sie zwei Jahrhunderte lang gedient hatte? Sich gegen ihren Gebieter, Radu, stellen? Und ihre einzige Chance auf Unsterblichkeit in den Wind schlagen? Damit würde sie nur ein für alle Mal und ohne jeden Zweifel beweisen, dass sie nicht das Zeug zu einer Lady, zu einer Wamphyri, hatte und stets bloß eine weinerliche ... Frau bleiben würde!? Lächerlich!
Ihr noch unreifer Egel wehrte sich, kämpfte um sein Leben, und zwar gegen eine Macht, die stärker war als alles, was er bisher kennengelernt hatte, und die er nicht verstand, im Grunde unmöglich verstehen konnte. Bonnie Jeans Gefühle überschlugen sich. Sie schaute zu Harry hinüber. Er hatte das Gesicht abgewandt und blickte aus dem Fenster. Verdammt noch mal, er ignorierte ihren Ausbruch einfach! Als ob sie ein Kind wäre! Wahrscheinlich weil sein Unterbewusstsein nur zu gut begriff, was hier vor sich ging.
Mit einem Mal spürte B. J., wie es sie – am helllichten Tag, noch dazu am Steuer eines Wagens – überkam, wie sie sich verwandelte, und konnte nichts dagegen tun. Es war, als stünde sie neben sich. Entsetzt sah sie zu, gelähmt von ihrem eigenen hypnotischen Talent! Sie spürte ihre Eckzähne aus dem Zahnfleisch wachsen, spürte sie bereits durch das Fleisch brechen, schmeckte das Blut in ihrem Mund. Ihr Blut. Vorerst noch ...
Harry schaute nach vorn, fuhr aus seinem Sitz hoch und brüllte: »Um Gottes willen – die Straße ...! «
Die Lady verschwand, und B. J. übernahm wieder die Kontrolle. Fürs Erste wenigstens.
Sie rammte den Fuß auf die Bremse, riss das Lenkrad herum, hielt es mit aller Kraft fest und steuerte den Wagen um eine scharfe Linkskurve. Harry wurde gegen sie geschleudert, und als er an sie stieß, hätte sie um ein Haar ihre Sonnenbrille verloren. Ihr war klar, dass ihre Augen blutrot waren, sie war jedoch vollauf damit beschäftigt, den Wagen zum Stehen zu bringen. Die Räder auf der Fahrerseite holperten über den Grünstreifen, die Hecke schrammte über das Seitenfenster, ihr Außenspiegel wurde umgeknickt, und der Wagen blieb stehen ...
Der Necroscope ließ das Möbiustor, das er instinktiv über dem Armaturenbrett heraufbeschworen hatte,
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