Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
schließlich die Stimme des Unbekannten, nun jedoch gelassen und ohne vor Verzweiflung zu beben. Anscheinend akzeptierte er die Wahrheit. Verzeih mir meine Zweifel und das Gejammer, Harry, und meinen Mangel an Überzeugung. Ah, aber einem Prediger fällt es nun einmal schwer, sich eine Standpauke halten zu lassen. Für einen Mann des Glaubens ist es nicht leicht, wenn er feststellen muss, dass er seinen Glauben verloren hat! Noch dazu, wenn ihn ein so junger Mann wie du darauf stößt! Und doch bist du so ... überzeugend! Du hast es vollkommen richtig dargelegt! Vielleicht hättest du der Geistliche werden sollen. Oder womöglich würdest du eher einen guten Philosophen abgeben. Hast du Philosophie studiert, Harry?
Ein bisschen, entgegnete der Necroscope, was ja auch zumindest teilweise der Wahrheit entsprach. Oder vielmehr, ich habe hin und wieder ein paar Wortspiele gespielt, und zwar mit ausgesprochenen Experten. Ich verstehe zu argumentieren, falls Sie das damit meinen. Näher wollte er nicht darauf eingehen. Was der Tote ihm gesagt hatte, erklärte hingegen eine Menge.
Sein Leben lang hatte dieser Mann von Gott und einem Leben nach dem Tod gepredigt ... und wo war er nun? Weshalb nahm Er diese Seelen nicht in Sein Reich auf? Weder der Necroscope noch der Priester wussten eine Antwort darauf; eine Tatsache jedoch blieb, dass Er sie zu sich gerufen hatte beziehungsweise dies irgendwann noch tun würde. Was das Paradies anging, hatte Harry jedoch schon immer seine Zweifel gehegt; und sie wurden umso größer, je länger die Himmelfahrt der Toten auf sich warten ließ. Wie es sich wirklich verhielt, sollte er erst noch herausfinden, allerdings viel später, in einer anderen Welt ...
Harry hätte seine Gedanken über die Seelennot des Predigers ebenso gut laut aussprechen können. Ich muss dir schon wieder recht geben, erwiderte der Tote. Im Leben war es schon schwer genug, meine Herde zu überzeugen; aber jetzt im Tod, wo die Auferstehung, auf die alle hofften, ausbleibt?
Ja, das stelle ich mir nicht leicht vor, nickte Harry. Aber Sie hören sich immer noch an wie ein Priester!
Ich denke auch noch wie einer, ganz tief im Innern! Es ist nur so, dass meine Worte jetzt so leer und sinnlos erscheinen, sogar mir selbst kommen sie manchmal so vor! Und das Schlimmste ist, ich kann ihnen noch nicht einmal einen Zeitpunkt nennen und sie auf die Stunde ihrer Erlösung vertrösten. Aber wenn ich mit jemandem wie dir rede und deine Wärme spüre, dann kehrt mein Glaube zurück! Denn wenn es tatsächlich nichts gibt außer dieser Finsternis, diesem Fegefeuer, das uns umgibt, weshalb kommst du dann zu uns, um uns an die Vergangenheit zu erinnern – wenn nicht als lebendes Zeugnis für die herrliche Zukunft, die uns erwartet? Denn Er war, Er ist und Er wird sein in alle Ewigkeit ...
Ein Bote Gottes? So kam Harry sich nun wirklich nicht vor.
Aber genau das bist du! , beharrte der Prediger. Du trägst das Licht in die ewige Finsternis, Harry, und bringst Hoffnung, wo es keine Hoffnung mehr gab. Du ... entzündest die Flamme aufs Neue! Ja, und ich glaube, ich weiß auch, was dich hergetrieben hat: die einem in die Seele dringenden Schreie dieses armen Verrückten hier, der gehen musste, bevor seine Zeit gekommen war. Du bist hier, um ihm Trost zuzusprechen. Habe ich nicht recht?
Nicht ganz! Harry schüttelte den Kopf. Er wusste, dass sein Gegenüber dies mitbekam. Wenn ich ihm Trost spenden kann, schön und gut! Aber eigentlich bin ich hier, um ihm ein paar Fragen zu stellen. Ich möchte wissen, wer ihn umgebracht hat, damit ich für Gerechtigkeit sorgen kann!
Rache? Mit einem Mal klang die Stimme des Priesters sehr leise.
Auge um Auge, knurrte Harry.
Und was hältst du davon, die andere Wange hinzuhalten?
Damit der Mörder frei ausgeht und wieder zuschlagen kann?
Ich sage nicht, dass ich das gutheiße, Harry.
Ich auch nicht! Aber ich werde tun, was ich tun muss!
Und dich dabei auf dasselbe Niveau wie dieser Mörder herabbegeben?
Warum sagen Sie das nicht dem ganzen Dutzend Leuten, wenn nicht mehr, die er umgebracht hat!?
Dafür kann ich dir meinen Segen nicht geben! Der Prediger schüttelte körperlos den Kopf.
Helfen Sie mir, an ihn heranzukommen, mehr verlange ich nicht! Pfeifen Sie die anderen zurück, denn was sie tun, hat ohnehin keinen Zweck; sie überschreien mich nur.
Das stimmte. Derek Stevens trieb sie noch alle in den Wahnsinn! Jeder einzelne – Bewohner? – dieses Friedhofs stand am Rande eines
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