Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
sie. Aber wenn sie nicht gerade für ihn ... tätig wurden, waren sie nun einmal körperlos. Doch obwohl die Verständigung mitunter nicht leicht fiel, vermittelte die Totensprache – ähnlich wie die Telepathie – meist mehr als nur das, was gesagt wurde, und Sir Keenan verstand sehr wohl, dass der Necroscope sich wie stets nur bescheiden und mitfühlend gab.
Nun, zunächst einmal können wir dir mitteilen, dass die Fälle, die du gerade untersuchst, bei Weitem nicht die ersten Morde sind, die auf das Konto dieses Verrückten gehen! Hier in London hat er ein Dutzend Mal zugeschlagen, immer bei Vollmond, manchmal auch einen Tag davor oder danach. Aber die Opfer waren kein großer Verlust für die Menschheit ... und uns haben sie auch nicht gerade bereichert. Um ehrlich zu sein, handelt es sich hauptsächlich um Elemente aus der Unterwelt!
»Kriminelle?« Das überraschte Harry nicht. In London hatte es schon immer Bandenkriege gegeben, meist Revierstreitigkeiten, und das würde auch niemals ein Ende nehmen. »Aus dem Eastend?«
Die meisten, ja. Aber aus ihnen war kein Ton rauszukriegen, Harry! Ganovenehre und dieser ganze Unsinn! Und natürlich konnte keiner etwas dafür, dass es so kam. Ah, aber nun, wo du den Fall übernommen hast, sieht das alles ganz anders aus! Schließlich bist du der Necroscope und kein »Bulle«. Wenn sie dir etwas erzählen, ist es kein »Singen« im eigentlichen Sinn und sie kommen sich nicht wie Informanten vor!
»Wie verlässlich sind ihre Informationen?«, fragte Harry erwartungsvoll; denn im Grunde hatte er so gut wie nichts in der Hand.
Ich fürchte, dazu kann ich dir nicht allzu viel sagen, erwiderte der Tote. Und das meiste wäre ohnehin bloße Mutmaßung. Aber immerhin besser als nichts, oder?
Harry gab ein mentales Nicken von sich. »Lassen Sie es mich hören. Dann kann ich es auch beurteilen!«
Die Morde hatten sich allesamt während der letzten drei Jahre ereignet, immer um Vollmond herum, aber nicht so gehäuft, dass die Polizei irgendwelche Schlüsse daraus zog; schließlich hatte es in diesem Zeitraum ziemlich viele Morde gegeben. Das Einzige, worin man unter Umständen eine Verbindung sehen könnte, war die Tatsache, dass sie allesamt ungelöst waren ... und dass die letzten drei Morde (bevor es die Polizeibeamten erwischte) von einem Wesen halb Mensch, halb Wolf verübt worden waren oder zumindest von jemandem, der eine derartige Verkleidung trug. Das könnte darauf hindeuten, dass der Irre erst kürzlich zu seiner Rolle als Werwolf gefunden hatte. Letzteres allerdings, nämlich dass der Täter eine Wolfsmaske benutzte, war den Ermittlern nicht bekannt; denn außer den Opfern hatte keine lebende Seele den Angreifer je zu Gesicht bekommen – bis auf Harry Keogh, den Necroscopen ...
Das grausame Vorgehen bei jenen letzten drei Morden – und natürlich auch bei Jim Banks, Stevens und Jakes – hatte die Behörden endlich wachgerüttelt. Doch nun ordneten sie das Ganze fälschlicherweise als Serienverbrechen ein. Dass diese Gräueltaten das Werk eines Irren waren, stellte wohl niemand infrage. Aber ein Serienmörder? Sir Keenan Gormley und die Große Mehrheit hegten da ihre Zweifel.
Harry hatte es schon richtig gesehen: Bei den ersten Morden, die scheinbar nichts miteinander zu tun hatten, hatte es sich um Revierstreitigkeiten gehandelt. Ein Mitglied einer Bande von Autoschiebern hatte damit begonnen, die Angehörigen rivalisierender Gangs einen nach dem anderen, beinahe systematisch, auszuschalten. Doch nach einer Weile, etwa nach den ersten sechs Morden, fing es wohl an, ihm Spaß zu machen. Vielleicht wurde ihm klar, über welche Macht er verfügte und welche Überlegenheit ihm sein unheimliches Talent, die Fähigkeit, in den Geist eines Widersachers einzudringen und jeden seiner Schritte vorherzusehen, verschaffte. Womöglich hegte er einen Groll gegen die Polizei. Hinzu kam eindeutig der Drang, jedweden hartnäckigen Gegner ein für alle Mal aus dem Weg zu räumen!
Ein übersinnliches Talent in Verbindung mit einem verbrecherischen Geist – und heraus kamen grauenhafte Morde. Lykanthropie – mehr als ein Fantasieprodukt, handelte es sich hier um eine Wahnvorstellung, um ein in der Psychiatrie bekanntes und anerkanntes Phänomen. Der Verrückte stand unter dem Zwang, sein Opfer wie ein wildes Tier in Stücke zu reißen. Immer bei Vollmond, wenn die Anziehungskraft des Himmelskörpers sich nicht nur auf die Gezeiten, sondern auch auf seine Hirnflüssigkeit
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