Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
war, dass sie von dir lassen mussten. Mit ihren fünf Sinnen überzeugten sie sich davon, dass du ... tot bist.«
Das Schluchzen hatte aufgehört und sekundenlang herrschte fassungsloses Schweigen, beinahe so, als hielten die Toten den Atem an, als warteten sie darauf, dass Derek Stevens sein irres Geschrei wieder aufnahm.
Als der Necroscope merkte, dass es wieder losgehen wollte, kam er Stevens zuvor:
»Ich kann ihnen sagen, dass es dir gut geht. Deiner Familie, deinen Freunden, Jim Banks und George Jakes. Ich bin der Einzige, der das vermag. Ich kann sie beruhigen, damit es ihnen leichter fällt, weiterzumachen. Auch Banks und Jakes, denen es nicht anders geht als dir, auch wenn sie sich damit abgefunden haben. Ich kann es aber auch bleiben lassen. Oder ich kann ... ihnen sagen, in welchem Zustand du dich befindest. Das würde ich allerdings nur äußerst ungern tun, denn dann würden sie vor Sorge um dich bald wahnsinnig werden und müssten dasselbe durchmachen wie du ...«
Niemand kann dasselbe durchmachen wie ich, noch nicht einmal annähernd!, erwiderte der Tote. Mit einem Mal schwang in seiner Stimme ein Unterton mit, der zuvor nicht da gewesen war, sodass Harry sich vorkam, als würde er ein Verhör führen und habe sein Gegenüber unter Druck gesetzt, wenn nicht bedroht. Aber genau das tust du!, sagte Stevens höhnisch. Du drohst einem Toten! So viel also zum vielgerühmten »Mitgefühl« des Necroscopen! Und wenn das eine Lüge war, was ist dann mit allem Übrigen, das man mir weisgemacht hat?
Als Harry dies hörte, ließ seine Anspannung etwas nach, womöglich grinste er sogar trotz seiner Tränen. Endlich entwickelte sich das Wortspiel, das er spielte, in seine Richtung. »Du bist nicht verrückt, Derek«, entgegnete er. »Nicht, solange du noch so argumentieren kannst!«
Verrückt? Stevens schien überrascht. Hat mich denn jemand für verrückt gehalten? Seine Stimme war immer noch voller Bitterkeit, aber Harry spürte, dass er nun nicht mehr kurz davor stand, durchzudrehen. Wahnsinnig vor Kummer und Enttäuschung, das ja (genau wie der Prediger gesagt hatte). Aber ich bin nicht verrückt! Dickköpfig, das ist alles! Ich bin ein schlechter Verlierer und kann nicht aufgeben, auch wenn eine Sache längst verloren ist. Aber, zur Hölle, so war ich schon immer!
Natürlich! Und im Tod verhielt er sich nicht anders als im Leben. Aber auch der schlechteste Verlierer musste irgendwann einsehen, dass es endgültig aus und vorbei war.
Harry hörte die Toten leise aufseufzen, denn nun hatte er eindeutig die Oberhand gewonnen. Doch dem Necroscopen war klar, dass ein übler Nachgeschmack zurückbleiben würde, wenn er einem, der ohnehin schon am Boden lag, auch noch einen Tritt versetzte. Man sollte immer einen Ausweg offen lassen und jemandem, der sich tapfer geschlagen hatte, die Chance geben, das Gesicht zu wahren. Darum sagte er wie beiläufig:
»Na ja, du kannst immer noch als Sieger dastehen.«
Eh? Wie das? Stevens hatte sich wieder weitgehend gefasst, das Schluchzen war aus seiner Stimme geschwunden. Es war die Aussicht, am Ende doch noch zu gewinnen, auch wenn alles bereits verloren schien. Doch wie konnte alles verloren sein, wenn er noch immer da war und nicht aufgab? Ich kann immer noch gewinnen?
»Ja, und das wirst du auch«, versicherte Harry ihm. »Denn am Ende sitzen wir ... hm, schließlich alle doch im selben Boot! Irgendwann erwischt es jeden von uns.«
Was? Stevens kam nicht ganz mit.
»Der Tod dauert verdammt lange«, erklärte Harry. »Du hast nichts verloren, Derek. Die Lage, in der du dich im Augenblick befindest, mag schlimm sein, aber das geht vorüber. Irgendwann, in ferner Zukunft, wirst du jeden, von dem du dich verabschieden musstest, hier wieder begrüßen können. Allerdings ist es durchaus möglich, dass du dies dann gar nicht mehr willst!«
Ich und das nicht wollen? (Erstaunen!) Ich soll mir nicht wünschen, wiedervereint zu werden mit ...
»... du wirst älter werden, Derek, und sie ebenfalls. Du wirst alt und erfahren sein, was den Tod angeht, und sie körperlich alt. Das wird dir erspart bleiben. Sie werden neue Freunde haben und ... sich verändern. Und du ebenfalls! Doch wer weiß? Vielleicht werden sie genau wie du sein, ebenso widerspenstig, und dich brauchen, damit ihnen jemand den Weg weist, wenn sie schließlich ... wenn sie schließlich hier ankommen. So wie die Toten dir den Weg weisen, wenn du sie nur lässt.«
Ich kann neue Freunde finden?
»Und auch
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