Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
sich die Bude bereits angesehen, ein abbruchreifes mehrgeschossiges Parkhaus, das früher einmal der Stadt gehört hatte. Die Werkstatt war riesig und genauso heruntergekommen wie der Rest, nur noch ein Betonkasten. Die oberen Stockwerke waren schon entkernt und standen zum Abriss bereit, nur das Erdgeschoss und den Keller konnte man noch nutzen, und ebendort befand sich die Werkstatt. Trotzdem war es keinesfalls leicht, hineinzugelangen. Das Erdgeschoss hatte keine Fenster, und die ehemalige Ausfahrt war versperrt. Der verbliebene Zugang wurde von einer bemannten Schranke und einem per Elektromotor hochklappbaren Stahlgitter abgeriegelt. Im ganzen Arbeitsbereich gab es kein Tageslicht, nur künstliches, und außer den Kunden, deren Fahrzeuge gerade repariert wurden, wurde niemand eingelassen. Ohne Durchsuchungsbefehl lief da gar nichts.
Während Stevens und Jakes den Laden in Augenschein nahmen, machten sie dieselbe Erfahrung wie Jim Banks vor ihnen: Etwas oder vielmehr jemand war in ihren Geist eingedrungen! Das Gefühl war so seltsam, unnatürlich, unheimlich, dass keiner der beiden dem anderen auch nur ein Sterbenswörtchen davon sagte! Wahrscheinlich dachten sie, sie seien im Begriff, überzuschnappen. Zumindest Stevens machte sich Sorgen in dieser Richtung – aber keiner von beiden sagte etwas, jedenfalls nicht seinem Partner. Derek Stevens führte es auf Nervenflattern zurück und auf den Verlust von Jim Banks. Aber mittlerweile habe ich mit beiden gesprochen und weiß, dass sie exakt dasselbe empfanden.
Dieses Wolfswesen, dieser selbsternannte Lykanthrop, war in ihren Geist eingedrungen. Vielleicht war er auf sie aufmerksam geworden, weil sie die Werkstatt, während sie ihre Razzia vorbereiteten, mit einem unauffälligen Blick zu viel bedacht hatten. Was es auch sein mochte, zu einer Durchsuchung sollte es nicht mehr kommen ...
Vor fünf Nächten, einen Tag vor Vollmond, fuhr Stevens von der Arbeit nach Hause. Es nieselte und die Straßen waren nass. An einer Baustellenampel vor einer Brücke über einen Bahndamm musste er halten ... aber der Lkw hinter ihm fuhr einfach weiter! Das Einzige, was Stevens warnte, war das obszöne Kichern in seinem Kopf und eine gurgelnde Stimme, die sagte: ›Verabschiede dich von deinem Arsch, Dumpfbacke!‹ Darauf folgte ein irres Geheul, wie von einem Verrückten, der versuchte, einen Wolf nachzuahmen.
Der Lkw erwischte seinen Wagen rechts hinten und schob
ihn nach links von der Straße weg, wo er eine provisorische Absperrung durchbrach und über neun Meter tief auf die unter Strom stehenden Gleise stürzte ... «
Darcy Clarke nickte. »Es hat in der Zeitung gestanden. Allein der Sturz und die Hochspannung hätten wahrscheinlich ausgereicht; aber der Pendlerzug, der zwei Minuten später in seinen Wagen raste, gab ihm endgültig den Rest. Es war ein Wunder, dass der Zug nicht entgleiste und es keine weiteren Verletzten gab.«
»Das ist alles, was ich von Derek Stevens erfuhr«, nickte Harry. »Bleibt noch John Jakes – beziehungsweise was von ihm übrig ist!«
»Harry!«, sagte Darcy, mit einem Mal sehr leise. »Ich weiß, dass du schon so einiges gesehen hast. Aber die Polizei hat uns mitgeteilt, dass es in diesem Fall, nun ja, wirklich übel ist. Jakes hatte keinerlei Familie, darum haben sie ihn nicht allzu sehr hergerichtet. Er befindet sich noch in demselben ... Zustand, in dem unser Irrer ihn vor drei Nächten zurückließ. Die Polizei ist jetzt mit ihm fertig und übermorgen wird er verbrannt. Jakes war ein Ökofreak und er wollte es so. Er meinte wohl, dass ohnehin schon alles zugebaut wird, da müsse man nicht auch noch totes Fleisch in der Erde vergraben – das sind seine Worte, Harry, nicht meine! Das jedenfalls hat mir sein Chef erzählt.«
Harry überlegte einen Augenblick. »Du hast recht, Darcy, ich habe wirklich schon einiges gesehen. Das Schloss Bronnitsy ... war voll davon! Aber trotzdem vielen Dank für die Warnung. Wahrscheinlich könnte ich auch von hier oder von meinem Zimmer im E-Dezernat aus Kontakt zu Jakes aufnehmen, aber du weißt, dass dies nicht meiner Art entspricht. Meiner Meinung nach ist Respekt eine zweigleisige Angelegenheit: Wer Respekt erwartet, sollte auch bereit sein, Respekt zu zollen. Deshalb werde ich ihn so oder so aufsuchen.«
Wenig später befanden sie sich dort ...
Harry wusste, dass die Toten keineswegs alle gleich waren. Jim Banks war ein harter Bursche gewesen, aber nur nach außen hin, und Derek Stevens
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