Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
jedoch an, es besser zu sehen, denn er hatte das sichere Gefühl, dass sie eine Schönheit war ... Plötzlich fiel ihm ein, was George Jakes ihm erzählt hatte.
Handelte es sich etwa um dasselbe Mädchen? Die Beschreibung, die Jakes ihm gegeben hatte, passte auf sie. Aber wenn sie es war, was trieb sie dann vor der Werkstatt? Kam sie rein zufällig hier vorbei, weil sie gerade Lust dazu hatte? Wahrscheinlich!
Doch als sie die Mauer des Lagerplatzes erreichte und er einen Blick auf die mandelförmigen, leicht schräg stehenden Augen in dem herzförmigen Gesicht erhaschte, als sie über die Straße in seine Richtung schaute, wich der Necroscope in den Schatten der Gasse zurück.
Genau in dem Moment, als er mit dem Rücken gegen eine Hauswand stieß, erklang in seinem Geist plötzlich eine wohlbekannte Stimme: Harry? Gott sei Dank habe ich dich gefunden! Du bist so schnell, mein Junge, dass es einem schwerfällt, mit dir Schritt zu halten! Harry war aufs Äußerste angespannt, sodass er unwillkürlich zusammenzuckte und im Dunkeln hörbar die Luft einsog, als Sir Keenan ihn so unvermittelt ansprach. Der Tote bekam dies mit. Oh, und was hast du jetzt vor? Weshalb so schreckhaft?
Harry versuchte sein Glück und spähte rasch um die Ecke. Doch das Mädchen war ... weg. Nur wie? Die Straße zog sich endlos dahin – soweit er sehen konnte, vollkommen leer in beide Richtungen – und in der Nähe zweigten keine weiteren Seitenstraßen ab. Selbst ein trainierter Sprinter hätte es nicht geschafft, so schnell zu verschwinden. Und dass sie über die Mauer geklettert war, schien nicht sehr wahrscheinlich ... oder doch?
Nun?, drängte Sir Keenan. Was ist los?
Fürs Erste vergaß Harry das Mädchen, um die wichtigeren Details zu erläutern. »Wissen Sie«, flüsterte er, »dass jemand in meinen Geist eindringt, hatte ich fast erwartet; aber mit Ihnen hätte ich nun wirklich nicht gerechnet!« Andererseits war es nicht sehr wahrscheinlich, dass irgendein lebender Eindringling ihn belauschte, solange er sich mit dem körperlosen Keenan Gormley unterhielt. Noch nicht einmal ein telepathisch begabter »Werwolf« vermochte die Gedanken der Toten abzufangen.
Sir Keenan hingegen vernahm sehr wohl, was der Necroscope dachte. Harry, sagte er, du weißt, dass ich dich nicht ohne Grund belästigen würde, aber dies halte ich für wichtig. Ich glaube, ich habe, wonach du suchst – ich kann dir sagen, wer der Mörder ist!
Harry erstarrte. »Ich glaube, ich kenne ihn bereits. Na ja, vielleicht nicht seine Identität, aber immerhin habe ich eine Beschreibung. Aber es wäre bestimmt gut, es auch von anderer Seite zu hören.«
Es geschah, nachdem du Banks, Stevens und Jakes aufgesucht hattest, erklärte Sir Keenan. Danach meldete sich noch jemand.
»Ein weiterer Toter?«
Oh ja, ein Opfer, genau wie die anderen. Nur womöglich war das Verbrechen an ihm noch schlimmer. In diesem Fall hatte der Mörder nämlich seinen eigenen Bruder umgebracht! Der Necroscope bekam mit, wie Sir Keenan traurig den Kopf schüttelte. Harry, fuhr dieser fort, ich möchte dich mit R. L. Stevenson Jamieson bekannt machen. Er kann dir alles erzählen ...
Harry hatte ein Talent dafür entwickelt, Gut und Böse zu unterscheiden, sobald er eine Totenstimme vernahm. Und als dieser Mann ihn ansprach, bebend zunächst und dann mit wachsender Zuversicht, erkannte er auf Anhieb, dass er einen anständigen Kerl vor sich hatte.
Ja, ich schätze, das war ich wohl, pflichtete sein neues Gegenüber ihm, reichlich bescheiden, bei. Ich gab jedenfalls mein Bestes. Mein Bruder allerdings ... Willst du unsere Geschichte hören, Necroscope? Weißt du, ich glaube, es reicht jetzt mit ihm. Ich habe gehört, wie du mit den anderen über diese Sache gesprochen hast. Ich war zwar ziemlich weit weg, und du hast ja auch nicht mit mir geredet, aber trotzdem spürte ich diese Wärme in dir. Jetzt weiß ich, warum die Toten dich so sehr lieben. Und Gott ist mein Zeuge: Sollte dir irgendetwas zustoßen, soll mein Name mitsamt meinen Knochen auf ewig verflucht sein! Und das will ich nicht, auf gar keinen Fall! Also ... hast du Zeit, mir zuzuhören, Necroscope?
Selbstverständlich hatte Harry Zeit dafür. Er nickte ...
Ich werde es kurz machen, begann R. L. Stevenson seinen Bericht. Wir wurden in Haiti, in Port-au-Prince geboren. Mit wir meine ich mich und meinen Bruder, A. C. Doyle Jamieson. Und bevor du fragst: Ja, unser Paps war ein Mann, der verdammt viel las! Wir hatten noch eine
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