Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
ältere Schwester, Shelley beziehungsweise M.W., wie wir sie manchmal nannten, weil Wollstonecraft doch ein bisschen umständlich ist.
Ich bin Jahrgang 1946, mein Bruder Arthur Conan kam sieben Jahre später. Du musst wissen, er war mein kleiner Bruder. Aber da draußen auf den Antillen verhält es sich nicht viel anders als hier in England, schätze ich, oder sonst irgendwo auf der Welt. Sieben Jahre sind ein verdammt großer Unterschied! Ich meine, ich bin dazu erzogen worden, Respekt vor den Leuten zu haben, genau wie Shelley vor mir. Aber als Arthur Conan zur Welt kam, war alles schon ganz anders. Paps wurde langsam alt und kam nicht mehr mit ihm zurecht.
Ma starb bei Arthur Conans Geburt und drei Jahre später heiratete Shelley und zog nach Jamaika. Damals war ich zehn und sie ließ mich mit Paps und A. C. allein zurück. Das war auch keine große Hilfe. Danach hatten wir keine Frau mehr im Haus, die A. C. Manieren beibringen und ihm den Kopf zurechtrücken konnte, wenn er etwas angestellt hatte. Nur noch Paps und ich, und wir verwöhnten A. C. nach Strich und Faden ... Zu dem Zeitpunkt war Paps schon richtig alt; A. C. war sozusagen sein letzter Schuss gewesen, wenn du verstehst, was ich meine.
Paps hatte Obeah-Blut in den Adern; ich auch ein bisschen, aber bei A. C. floss es reichlich! Weißt du Bescheid über Obi, Harry? Blöde Frage, natürlich kennst du dich aus! Das, was du da gerade machst, ist ja auch nichts anderes als ... Obeah, Schwarze Magie! Obi! Hab’ ich recht? Auf den Inseln da unten wird es noch immer praktiziert, habe ich mir sagen lassen. Sogar Regierungen wurden damit gestürzt. Allerdings früher, als A. C. und ich noch Kinder waren, eher als heute. Die Schwarzen haben es aus Afrika mitgebracht. Unser Priester sagte immer, Obi sei aus der Sünde geboren und entspringe reiner Dummheit und in einer gottesfürchtigen Welt gäbe es keinen Platz dafür. Aber ich habe immer gewusst, dass er größere Angst vor Zauberei hatte als vor Gott!
Was Paps machte, war harmlos, meistenteils betrieb er nur Schutzzauber. Ich meine, er hätte nie jemandem etwas zuleide getan! Er gab sich zufrieden mit seinen Sprüchen und Liebestränken und hat nie mit Gift oder Toten herumexperimentiert – entschuldige, Harry, aber ich rede von Zombies! Aber Schutzzauber, ja! Allerdings hatte Paps ziemliche Ahnung, und wenn er gewollt hätte, hätte er damit ganz groß rauskommen können. Ich meine, auf Haiti und den Westindischen Inseln sind ganze Regierungen darüber gestolpert! Ja! Paps hatte nämlich die Macht, in den Geist seiner Gegner einzudringen; darum wusste er immer im Voraus, was sie vorhatten.
Und, mehr noch: Er wusste einfach, wenn er es mit jemandem zu tun hatte, der ihm Böses wollte! Sein Talent schlug sofort an und er las jeden schlechten oder gefährlichen Gedanken, der auf ihn gerichtet war. Er wusste jedes Mal ganz genau, woher sie kamen! Nicht dass so etwas oft vorgekommen wäre, verstehst du? Paps hatte nämlich keine Feinde.
Es gab spezielle Zeiten, zu denen Paps sein Obeah ausübte, bei Vollmond zum Beispiel. Wir hatten ein kleines Häuschen mit Garten an der Südküste. Es lag im Schutz der Klippen am Ende eines Kiesstrandes in einer Bucht bei Port de Paix. Wir hielten ein paar Hühner und ein, zwei Schweine, und in der Meerenge zwischen Haiti und Tortuga wimmelte es nur so von Fischen. Dazu noch das Grünzeug aus den Wäldern und dem Garten ... alles in allem kamen wir ganz gut über die Runden. Aber als Paps älter wurde und A. C. heranwuchs, hatte ich immer öfter das Gefühl, dass mein kleiner Bruder damit nicht zufrieden war. Unser Garten und der Strand genügten ihm nicht. Er wollte hinaus in die große weite Welt ...
Bei Vollmond schlichen wir Paps hinterher. Er hatte eine Hütte, die er als sein »Obeah-Haus« bezeichnete, bloß eine Bretterbude am Rand des Gartens, in der er meistens nur in einem alten Schaukelstuhl herumhockte und sein Bier trank. Aber manchmal verbrannte er dort auch Kräuter und murmelte ein paar Sprüche, drehte sich im Kreis und ließ den Blick ringsum schweifen, um zu »fühlen«, was in der Welt so vor sich ging. Am nächsten Tag gab es dann jedes Mal das Hühnchen zu Mittag, das er für sein Ritual gebraucht hatte. Und wenn er uns dabei erwischte, wie wir ihm hinterherspionierten, mein Gott, konnte er dann ausrasten! Er wollte nicht, dass wir irgendetwas mit Obeah zu tun bekamen! Aber dann nahm er mich einmal beiseite und erklärte mir:
»Du hast eine gute
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